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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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versuchte nicht länger, ihr Wissen zu verbergen. Warum auch, wenn Oleg sowieso schon ahnte, was auch sie befürchtete?
    » Er ist also dort « , konstatierte Jerry. Seine Stimme wurde drängend. » Was denkst du, was der Kerl macht, Zena? Ob er dem Pater und Deirdre was antut? «
    Wieder zuckte sie die Achseln. Diesmal wusste sie es wirklich nicht. Sie kannte den Kaziken nicht und wusste nicht, was er für ein Mensch war. Der alte Häuptling war ein freundlicher und friedliebender Mann gewesen, er hatte Pater Raymond gemocht und den Weißen nie etwas Böses getan. Doch der Kazike war anders. Sein Auftreten war kriegerisch, und es hieß, er habe schon viele Feinde getötet.
    Oleg sah sie mit stechendem Blick an, und für einen Moment war es ihr, als könnte er ihre Gedanken lesen. Dann wandte er sich abrupt ab. Gefolgt von Jerry, eilte er in Richtung Strand, wo Mylady Lizzie mit hochgebundenen Röcken im seichten Wasser stand und gemeinsam mit Miss Jane an langen Stecken in Ufernähe Reusen befestigte. Bis zum nächsten Morgen würden sich darin viele Fische und Krabben verfangen, die sie anschließend nur einsammeln mussten. Die Natur auf der Insel war wie ein reich gedeckter Tisch, sie hielt Nahrung in Hülle und Fülle bereit. Das Meer, die Flüsse und die Wälder quollen förmlich über davon, Mylady Lizzie hatte gemeint, es sei wie im Paradies. Zena wusste, was sie damit meinte. Pater Raymond hatte ihr und den anderen im Dorf erklärt, was das Paradies war. In der Sprache der Kariben gab es kein besonderes Wort dafür, und er hatte gemeint, das komme daher, dass die Indianer schon auf Erden lebten wie im Paradies – in einem Zustand immerwährender Seligkeit, friedfertig und fröhlich wie Kinder, eins mit sich und der Welt.
    Doch darin irrte er sich. Schon vor langer Zeit war die Schlange ins Paradies gekommen, so wie in dem heiligen Buch, aus dem Pater Raymond ihr vorgelesen hatte. Sie hatte ihr hässliches Haupt erhoben, als die ersten großen Schiffe der Weißen am Horizont aufgetaucht waren. Und in ihrem Schatten lauerten Zwietracht und Tod.
    Elizabeth strich sich das Haar aus der Stirn und spürte dabei den Schweiß an ihren Fingerspitzen. Ihr war heiß, obwohl die große Mittagshitze erst bevorstand– es war noch früh am Tag. Der Himmel war klar, die Luft frisch. Bald würde es wieder dunstiger werden, und die Schwüle würde zunehmen. Dann war an Arbeiten nicht mehr zu denken. Es war anstrengend, die Reusen aufzustellen, doch einer musste es tun, wenn sie zu essen haben wollten, und sie konnte Miss Jane nicht alles allein machen lassen. Sid war mit Johnny unterwegs, und Oleg und Jerry hatten den ganzen Morgen an der neuen Schaluppe gezimmert, so wie sie es häufig die letzten Wochen über getan hatten.
    Elizabeth schirmte die Augen mit der Hand ab, als sie die beiden näher kommen sah.
    » Ist das Boot etwa fertig? « , fragte sie. » Ich habe euch gar nicht mehr hämmern gehört. «
    » Ja, vorhin haben wir den letzten Nagel eingeschlagen, Mylady « , sagte Jerry. » Wir haben uns rangehalten. Ist eine feine Schaluppe geworden. Später wollen wir auf Jungfernfahrt gehen. «
    » Oh, das ist fabelhaft! « Elizabeth lächelte die Männer an und strich ein paar Haarsträhnen zurück, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten. » Master Duncan wäre stolz auf euch! «
    » Ja, das wäre er sicher. « Jerry trat unbehaglich von einem Bein aufs andere. » Wir wollen uns mit Euch besprechen, Mylady. Oleg und ich glauben, dass vielleicht was passiert ist. «
    Elizabeth ließ die Reuse, die sie gerade festbinden wollte, abrupt fahren und watete um die Stange herum aus dem Wasser. Besorgt sah sie sich nach allen Seiten um.
    » Ist was mit Johnny? Wo steckt er? «
    Dann hörte sie das Lachen ihres Sohnes, er kam hinter einer der Hütten hervorgerannt, den schimpfenden Sid auf den Fersen. Der Kleine hatte sich einen Gegenstand unter den Arm geklemmt, der eindeutig nicht ihm gehörte. Bei näherem Hinsehen stellte sich heraus, dass es die Perücke von Mister Pebbles war, dem Landvermesser. Der neigte trotz seiner jungen Jahre zu verfrühter Glatzenbildung und hatte das zottelige Ding für viel Geld einem holländischen Kaufmann abgekauft. Er trug die dicke Perücke trotz der tropischen Hitze mit heroischer Tapferkeit von früh bis spät.
    » Willst du das wohl hergeben, du kleiner Halunke? « , rief Sid. » Mister Pebbles wird dir sonst den Hintern versohlen! « Doch er lachte dabei übers ganze Gesicht, als hätte er

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