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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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den Sinn gekommen, was sein Kapitän von ihm erwartete– Elizabeth jederzeit und überall mit seinem Leben zu beschützen. Stattdessen ließ er sie allein in die Höhle des Löwen gehen.
    Aber Elizabeth wusste, dass er sie gar nicht erst in die Nähe der Wilden gelassen hätte, wenn er damit nicht die verzweifelte Hoffnung auf Deirdres unbeschadete Rückkehr verbunden hätte. Sein Antrieb war weit mächtiger als der ihre– sie handelte aus Loyalität und Verantwortung und freundschaftlicher Zuneigung heraus, er hingegen aus Liebe. Es wussten wohl mittlerweile alle, wie der große Kirgise zu Deirdre stand, bis auf Deirdre selbst.
    Elizabeth legte ihm die Hand auf die Schulter.
    » Ich versuche alles, das verspreche ich. «
    Er nickte mit unbewegter Miene, aber in seinen Augen standen Angst und Sorge.
    Zena hatte die Führung übernommen, und Elizabeth heftete sich an ihre Fersen. Nach ein paar Schritten wandte die junge Indianerin sich zu ihr um.
    » Ich rede « , flüsterte sie.
    Elizabeth nickte. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, während sie Zena in Richtung Dorf folgte. Nun waren auch die Stimmen der Dorfbewohner zu hören. Sie lachten und redeten durcheinander, hier und da wurde auch gesungen. Jemand spielte auf einer Flöte, eine schlichte Tonfolge, beinahe wie der Gesang eines Vogels.
    Zena blieb so abrupt stehen, dass Elizabeth fast gegen sie geprallt wäre. Drei Indianer waren wie aus dem Nichts aufgetaucht und standen vor ihnen, die dunklen Gesichter bemalt, das glatte schwarze Haar zu federgeschmückten Frisuren hochgebunden. Sie waren mit Spießen bewaffnet, deren Spitzen gefährlich dunkel glänzten. Elizabeth fühlte misstrauische und ablehnende Blicke auf sich ruhen. Einer der Männer hob den Speer, als wollte er zustoßen, und Elizabeth zuckte in der Erwartung des Angriffs reflexartig zurück. Doch blitzschnell hob Zena beide Hände und begann in einer schnellen Wortfolge auf den Indianer einzureden, der ihr zuerst stumm zuhörte und dann widerwillig auf die Fragen, die Zena ihm stellte, Antworten gab. Schließlich machte er mit einem kurzen Grunzen den Weg frei, sodass sie weitergehen konnten.
    » Worüber habt ihr gesprochen? « , flüsterte Elizabeth.
    » Später. Keine Zeit jetzt. Ich rede, du still. «
    Auf der vor ihnen liegenden Lichtung hatte sich anscheinend der ganze Stamm versammelt. Männer, Frauen und Kinder saßen und standen überall herum, es herrschte eine festliche Stimmung. Als die Ersten bemerkten, dass unerwartete Besucher unter ihnen waren, drehten sie sich um. Erstaunte Ausrufe wurden laut, Elizabeth spürte den Argwohn, der ihr entgegenschlug, aber dafür löste Zenas Ankunft große Freude aus. Von allen Seiten liefen die Frauen herbei und begrüßten sie unter allerlei fragenden Ausrufen. Sie betasteten das Kattunkleid, das sie trug, und bewunderten lautstark das Messer, das sie sich umgegürtet hatte. Elizabeth sah es jetzt erst, folglich musste Zena es erst auf dem Weg hierher angelegt haben. Wenn sie nicht alles täuschte, war es der Dolch des toten Portugiesen. Sie erschauderte bei dem Anblick, denn er erinnerte sie daran, mit welcher Selbstverständlichkeit Zena das Messer benutzt hatte– und wofür.
    Die männlichen Eingeborenen warteten im Hintergrund und legten dabei eine erhöhte Wachsamkeit an den Tag. Verstohlen blickte Elizabeth sich nach allen Seiten um, in der Hoffnung, irgendwo Deirdre oder Edmond zu sehen, doch die vielen Indianer, die sie und Zena umringten, versperrten ihr die Sicht. Dann trat einer von ihnen vor, dessen Feindseligkeit fast mit Händen zu greifen war. Flankiert wurde er von zwei bedrohlich aussehenden Kariben, die mit ihrem martialischen Gehabe seine Autorität noch unterstrichen. Er war mit einer Armbrust bewaffnet, die er hinter der linken Schulter befestigt hatte. An seiner Hüfte hing ein großes Messer. Seine Aufmachung war noch um einiges auffälliger als die der Übrigen. Er hatte sich mit Federn und Perlenschnüren herausgeputzt, und um den Hals hatte er Goldschmuck hängen. Dicht vor Elizabeth und Zena blieb er stehen und ließ einen wütenden Ausruf hören. Elizabeth merkte, dass Zena sich versteifte.
    » Was hat er gesagt? « , wollte sie nervös wissen.
    » Wir sollen gehen. «
    Elizabeths Anspannung brach sich Bahn. Sie wandte sich um und erhob die Stimme. » Deirdre? Deirdre! « , rief sie wiederholt und nach allen Seiten.
    » Ich bin hier, Mylady! « , kam es zurück. Deirdres Stimme zitterte vor unterdrücktem Schluchzen. »

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