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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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sie froh, das durchgeschwitzte, rettungslos verdreckte Zeug los zu sein, auf der anderen erfüllte es sie mit Unbehagen, dass ihre bloßen Arme und Beine nun den Blicken der Wilden ausgesetzt waren.
    Vor der offenen Längsseite des großen Hauses sah sie die Männer, von denen sich mehr versammelt hatten als am Vortag. Die meisten hatten sich ebenfalls frisch bemalt.
    Endlich ließ die Alte ihre Gefangene in Ruhe und zog mit ihren Farbtöpfen ab. Zu Deirdres Erleichterung fühlte sich die trocknende Farbschicht sehr angenehm auf der Haut an. Sie hielt die Moskitos fern und linderte das Jucken der bereits vorhandenen Stiche. Nach einer Weile– sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber der Tag war noch lange nicht vorbei– wurde sie losgebunden und ins Freie geschubst, wo einer der Männer sie mit dem Strick, der um ihren Hals lag, an einen Baum fesselte und ihr erneut Hände und Füße zusammenband. Ihre Gelenke waren zerschunden von den groben Stricken, an manchen Stellen trat bereits Blut hervor, doch das schien niemanden außer ihr zu stören. Sie hatte es aufgegeben, darüber zu jammern, weil sie sich damit statt Mitleid nur Ärger einhandelte.
    Von hier aus konnte sie das Dorf gut überblicken. Einige der Männer, noch im Jünglingsalter, liefen herum und fochten mit primitiven Äxten oder Stöcken Schaukämpfe aus, während andere mit ihren Bogen Pfeil um Pfeil auf Gebilde aus Fell und Holz verschossen, die sie an Ästen aufgehängt und in Bewegung versetzt hatten. Jubelgeheul begleitete jeden Treffer. Kinder flitzten hin und her, ihr ausgelassenes Geschrei schallte über die Lichtung. Frauen und Mädchen trugen Gefäße mit frisch zubereitetem Essen. Auch sie lachten und schwatzten fröhlich durcheinander.
    » Schönes Fest, was? « , sagte eine Männerstimme. Deirdre fuhr herum und schrie beim Anblick der furchterregenden Gestalt auf. Das pechschwarze, mit bunten Streifen bemalte Gesicht, die weiß leuchtenden Augäpfel– auf den ersten Blick glaubte sie, einen Dämon vor sich zu haben. Dabei war es nur ein Afrikaner, wenngleich er ein wenig anders aussah als die übrigen, die sie bisher auf den Plantagen von Barbados gesehen hatte. Es dauerte einen Moment, bis Deirdre den Unterschied erkannte– er hatte sich im Gegensatz zu den anderen schwarzen Sklaven nicht das Haar geschoren, sondern trug es lang. Wie ein aufgeplusterter Ball aus krauser Wolle stand es ihm vom Kopf ab, durchsetzt von kunstvoll mit Bast verflochtenen und mit Glasperlen verzierten Zöpfen.
    » Wer bist du? « , fragte sie.
    » Badru. «
    » Wo kommst du her? Von Barbados? «
    » Virginia. «
    » Warst du dort Sklave? «
    » Fünf Jahre, auf Tabakfarm. «
    » Wie bist du nach Dominica gekommen, Badru? «
    » Sind von Farm abgehauen. Zum Meer. Da haben uns französische Piraten geschnappt und nach Guadeloupe verkauft. Wieder abgehauen, mit ein paar Indianern. Mit denen hergekommen. «
    » Gibt es hier noch mehr Schwarze? «
    » Noch einen. Mein Bruder. Waren mehr, aber die anderen sind nach Süden gezogen. «
    » Und wo ist dein Bruder? «
    » Helfen bei Vorbereitung. «
    » Vorbereitung für was? Für das Fest? Was soll denn gefeiert werden? «
    Badru starrte sie an, dann grinste er breit.
    » Du nicht weißt, oder? «
    » Was weiß ich nicht? «
    » Was sie heute mit dir tun. «
    » Nein, ich weiß es nicht. Sag es mir! «
    » Wird Überraschung « , sagte er geheimnisvoll. Es schien ihm zu gefallen, dass er mehr wusste als sie. Er kicherte vergnügt.
    Sie schluckte hart. Plötzlich fühlte sich der Strick um ihren Hals an wie eine Würgeschlinge.
    » Badru, weißt du, was mit dem weißen Mann geschehen ist? Er ist mit mir zusammen hier angekommen, aber die Indianer haben ihn weggeschleppt. «
    » Unten am Fluss in Käfig. Aber kommt gleich wieder. Männer holen ihn her. «
    Die Erleichterung darüber, dass Edmond noch am Leben war, durchströmte sie mit solcher Macht, dass ihr die Tränen kamen.
    » Mann muss sterben « , fuhr Badru in einem Ton fort, als sei das völlig selbstverständlich.
    » Was sagst du da? « Ihre Stimme überschlug sich vor Entsetzen. » Was meinst du damit? «
    » Mann wird getötet. «
    » Aber warum? Er hat doch nichts getan! «
    » Er gesagt, er bringt richtige und einzige Gott zu uns. Kazike und Behike wütend. Sie sagen, weiße Mann sehr schlecht für Indianer, weil gegen die Götter. Behike und Kazike haben Götter gefragt. Mann muss sterben. «
    » Bitte, binde mich los! « , flehte sie trotz

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