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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Abendessen ein, das Rose ihr heraufgebracht hatte– etwas Käse, kalten Braten und dazu Maisbrot. Sie konnte nicht viel essen, obwohl sie nach dem Schwimmen Hunger gehabt hatte wie ein Wolf. Die Bedrohung durch die neue Situation war ihr auf den Magen geschlagen. Duncan hatte sich schon gegen viele Feinde zur Wehr setzen müssen, aber die hatte er mit Pistolen oder Kanonen beschießen können. Hier war eine stärkere Macht angetreten, die er nicht mit Waffengewalt bekämpfen konnte.
    Sie aß einen letzten Bissen von dem Brot und spülte es mit frischem Brunnenwasser herunter. Anschließend ging sie wieder nach unten. Duncan hatte sich eine Pfeife angezündet und stand mit zweien seiner Männer zusammen, die ebenso wie Sid schon seit Jahren zu seiner Mannschaft gehörten. Beide verneigten sich kurz, aber ehrerbietig vor Elizabeth. Der eine wurde Oleg genannt und war ein Riese von Mann, mit schaufelartigen Händen und enormen Muskeln an Armen und Beinen. Sein tintenschwarzes Haar war im Nacken zu einem Zopf gebunden. Duncan hatte gesagt, Oleg stamme aus Kirgisien, einem der weiten Steppenländer östlich des Russenreichs. Die exotischen Gesichtszüge mit den breiten Wangenknochen und den schräg stehenden Augen deuteten jedenfalls darauf hin.
    Kein Mensch wusste, ob er wirklich Oleg hieß. Als er auf die Elise gekommen war, hatte einer der Matrosen ihn bei diesem Namen gerufen, und dabei war es geblieben. Er konnte nicht sprechen, zumindest hatte ihn noch nie jemand ein Wort sagen hören. Ihm war nicht etwa die Zunge herausgeschnitten worden, so wie vielen anderen bedauernswerten Seefahrern, die man auf diese drakonische Weise für Gesetzesverstöße bestraft hatte– er war ganz einfach stumm. In Ermangelung von Worten verständigte er sich mit Blicken und Gesten. Oder, wenn das nicht weiterhalf, auch durch Taten, die allerdings beim betreffenden Gegenüber zuweilen den Wunsch wachriefen, Oleg nie kennengelernt zu haben. Er trug die typische Seemannskluft– um den Kopf ein Tuch von undefinierbarer Farbe, lederne Breeches, ein weites Hemd unter einer speckigen Weste, ausgebeulte Stiefel. Sein Waffengurt und sein Bandelier waren umfangreich bestückt. Er trug zwei Pistolen, an jeder Seite eine. Man erzählte sich, er könne beidhändig damit schießen, so treffgenau wie kein anderer. Mit diesem Mann legte sich so schnell niemand an.
    Auch der andere Mann war schwer bewaffnet, wenngleich von längst nicht so angsteinflößender Erscheinung wie der Kirgise. Sein Name war Jerry, er war ein zweiundzwanzigjähriger Schotte. Sein karottenrotes Haar stand nach allen Seiten ab, und mit seinem fröhlichen, sommersprossigen Gesicht war er das genaue Gegenteil von Oleg, dessen Miene meist so dunkel und undurchdringlich war wie ein wolkenverhangener Himmel. Jerry lachte gern und viel und hatte immer einen Scherz auf den Lippen. Und er war so etwas wie Olegs Stimme. Auf geheimnisvolle Weise wusste er stets, was der stumme Hüne sagen wollte. Schon beim leisesten Wink erahnte er, worum es Oleg ging, und das gab er dann, so es nötig war, an andere weiter. Wo der große Kirgise sich aufhielt, war auch meist der junge Schotte nicht weit.
    Duncan stieß eine Rauchwolke aus. Er gab sich ruhig, doch Elizabeth spürte seine Anspannung. Meist rauchte er nur dann, wenn er nervös war. In der Regel gab er nicht viel auf dieses Laster, zumal er wusste, dass Elizabeth den Qualm nicht ausstehen konnte.
    » Oleg und Jerry bringen die letzten Kisten zum Hafen, sobald ihr mit Packen fertig seid « , sagte er. » Und danach schaffen wir deine Stute an Bord. «
    » Ich möchte dabei sein, wenn Pearl auf die Elise gebracht wird. «
    » Du solltest dich besser um Johnny kümmern. «
    » Deirdre ist bei ihm. «
    » Kommt sie mit auf die Reise? «
    Elizabeth schüttelte bedrückt den Kopf. Oleg machte ein paar rasche Handbewegungen, die Jerry für ihn übersetzte.
    » Er will wissen, ob sie wieder bei dem Priester im Wald leben will. «
    Elizabeth sah Oleg überrascht an. Irgendwer musste ihm von Deirdre und Edmond erzählt haben. Was allerdings nicht erklärte, warum er sich überhaupt dafür interessierte. Seine Miene gab darüber keinen Aufschluss. Sein Gesichtsausdruck war gewohnt unergründlich.
    » Sie geht als Hausmagd auf die Plantage von Lord Noringham « , sagte Elizabeth.
    Duncan und die beiden Männer blickten an ihr vorbei zur Tür, und Elizabeth drehte sich um. Deirdre stand dort im Durchgang. Sie war nur notdürftig angekleidet. Das Hemd

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