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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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hatten keine Zeit mehr zu verlieren. Der Himmel allein wusste, ob sie einander wiedersehen würden. Anne wollte in die Karibik zurück, und Ayscue strebte ein neues Flottenkommando bei den Schweden an, ungünstiger hätten die Dinge für die zwei kaum stehen können. Ob ihre Wege sich je wieder kreuzen würden, stand in den Sternen.
    Die Kutsche rollte die Fleet Street entlang. Duncan blickte müßig aus dem offenen Fenster. Der Regen hatte endlich aufgehört, und an manchen Stellen war der Himmel so hell, dass man tatsächlich glauben konnte, an diesem Tag noch einmal die Sonne zu sehen. Im Einmündungsbereich der Fetter Lane sah Duncan einen Mann aus einem Gasthaus treten. Er sog scharf die Luft ein und erstarrte, dann hieb er mit der Faust gegen die Innenwand der Kutsche und befahl dem Fahrer, auf der Stelle anzuhalten. Der Wagen war kaum zum Stillstand gekommen, als Duncan auch schon hinaussprang.
    » Warte hier « , befahl er dem Kutscher.
    Mit großen Schritten rannte er über die Straße, ohne nach rechts oder links zu schauen. Er entging nur um Haaresbreite dem Zusammenstoß mit einem berittenen Offizier, der ihn mit derben Flüchen belegte. Duncan achtete nicht auf ihn. Er sprang über eine Pfütze hinweg und erreichte die andere Straßenseite. Der Mann, auf den er es abgesehen hatte, war weitergegangen, ohne ihn zu bemerken, doch als er die Schritte hinter sich hörte, drehte er sich um. Das aufgeschwemmte Gesicht unter dem eleganten Barett wurde bleich. Reflexartig hob er beide Hände zur Abwehr, doch das half ihm nichts. Duncans Faust traf mit voller Wucht ihr Ziel. Das Nasenbein von Eugene Winston brach mit einem zufriedenstellenden Knacken. Duncan sah mit Genugtuung, wie das hervorschießende Blut sich über das feine, taubenblaue Samtwams verteilte und auch die edlen Schuhe und Beinkleider besudelte. Er wartete darauf, dass Eugene sich wehrte, doch der schien eher darauf bedacht, weiteren Schlägen zu entgehen. Stöhnend taumelte er zurück und befingerte sein Gesicht, als wollte er ergründen, woher auf einmal das viele Blut kam. Dabei stellte er mit entsetztem Wimmern fest, dass ihm mehrere Vorderzähne abhandengekommen waren.
    » Was hast du mir zu sagen, Winston? « , fragte Duncan gefährlich leise. Seine Hand tat höllisch weh von dem Schlag, doch es war ein hochwillkommener Schmerz, der ihn innerlich frohlocken ließ.
    Die ersten Gaffer sammelten sich. Nicht jeden Tag bot sich Gelegenheit, auf offener Straße einem Faustkampf beizuwohnen.
    » Ich hab doch gar nichts gemacht! « , behauptete Eugene weinerlich und mit starkem Lispeln wegen der Zahnlücke. Mitleid heischend blickte er in die Runde. » Ich hab dem Mann nichts getan! Er hat mich einfach überfallen und geschlagen! Aus heiterem Himmel! «
    » So kam es mir auch vor « , meldete sich einer der Umstehenden, dessen Gerechtigkeitssinn offenbar stärker ausgeprägt war als bei den Übrigen. Die verlangten lautstark von Eugene, sich zur Wehr zu setzen.
    » Schlag doch zurück! « , rief ein Zuschauer launig.
    » Gib ihm Saures! « , stimmte ein anderer zu. » Na los! Bist doch viel jünger als er! «
    » Aber auch üppiger um die Mitte und mit weniger Zähnen « , sagte jemand lachend.
    » Dafür hat er einen langen Degen. Ob er ihn wohl auch benutzen kann? «
    Die Rufe kamen von allen Seiten.
    » Nun mach schon! Zahl es ihm heim! «
    » Sei keine Memme! «
    » Ja, schlag mich « , forderte Duncan Eugene auf. Seine Stimme triefte vor Sarkasmus. » Oder nimm dein Rapier, dann fechten wir es aus wie Männer. « Er legte die Hand an den Knauf seines Degens, in der frustrierenden Gewissheit, dass Eugene weder blankziehen noch sich sonst wie verteidigen würde.
    » Jawohl, ein Fechtkampf! « , schrie jemand aus der Schar der Zuschauer, die sich innerhalb von nur einer Minute verdoppelt hatte. Duncan hörte, wie die ersten Wetten abgeschlossen wurden. Eugene erhielt eine jämmerliche Quote– und wurde ihr gerecht. Er gab den Kampf verloren, bevor dieser beginnen konnte. Gehetzt blickte er sich nach allen Seiten um, dann entfernte er sich vom Ort des Geschehens. Eugene drängte sich an ein paar enttäuscht dreinschauenden Zuschauern vorbei und lief mit einer für seine Körperfülle bemerkenswerten Geschwindigkeit davon.
    Duncan blickte ihm mit düsterer Genugtuung nach.

23
    F elicity musterte die Narbe im Spiegel und fand, dass sie wieder ein kleines bisschen weniger scheußlich aussah als noch vor einer Woche. Zumindest hatte Anne das gemeint,

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