Wind der Gezeiten - Roman
wäre. Schon deshalb, weil er wusste, dass seine Schwester George nicht sonderlich zugetan war und seinen Antrag im vorigen Jahr nur deshalb angenommen hatte, weil es an passenden Heiratskandidaten auf Barbados mangelte. Sie näherte sich bereits den dreißig, was die Aussichten auf eine akzeptable Verbindung entschieden minderte. George, ein Witwer und ehrbarer Pflanzer in den besten Jahren, war einer der wenigen akzeptablen Bewerber gewesen. Soweit man es akzeptabel nennen konnte, dass er mit einer seiner Sklavinnen bereits zwei Kinder gezeugt hatte, die er, um Anne im Hinblick auf diese Angelegenheit milder zu stimmen, kurzerhand auf eine andere Plantage verkauft hatte. Damit hatte er sie nachhaltig gegen sich aufgebracht. Sie hatte es nicht fassen können, dass jemand seine eigenen Kinder verkaufte.
Und dennoch– in gewisser Weise tat der Mann William leid. George Penn war eine ehrliche Haut und ein fleißiger, tüchtiger Pflanzer, der seine Arbeiter, auch die schwarzen, gut behandelte. Er wollte es einfach nur jedem recht machen, vor allem aber Anne. Zudem sprach für ihn, dass er, obschon sie nicht das geringste Interesse für ihn bekundete, nicht aufgehört hatte, nach Summer Hill zu kommen. Vielleicht würden die beiden ja doch noch eines Tages…
Williams Gedanken stockten, als er den Hufschlag hörte, und als er die Schimmelstute an der Wegbiegung hinter den Hütten auftauchen sah, spürte er seinen Herzschlag.
Elizabeth kam, um Abschied zu nehmen.
Obwohl sie von ihren eigenen Sorgen geplagt war, schnitt es Elizabeth ins Herz, als sie William drüben bei dem alten Feigenbaum stehen sah. Seine Haltung hatte etwas Mutloses an sich, und der Grund dafür befand sich ganz in seiner Nähe: Halb von den Luftwurzeln verborgen, saß Anne auf ihrem Lieblingsstuhl nahe am Stamm und pickte mit der Gabel halbherzig in ihrem Mittagessen herum. Es tat Elizabeth in der Seele weh, die zwei so zu sehen. Jede Geste, jede Bewegung machte deutlich, wie sehr sie immer noch an den Folgen dessen litten, was ihnen widerfahren war. Sie wünschte sich, dass sie mehr für die beiden hätte tun können, vor allem für Anne. Doch sosehr sie es auch versucht hatte– sie hatte nicht richtig zu ihrer Freundin vordringen können. Felicity hatte gemeint, Anne brauche einfach Zeit, und Elizabeth war nichts anderes übrig geblieben, als ihr zu glauben, denn in diesem Fall wusste ihre Cousine, wovon sie sprach. Felicity hatte, bevor sie damals nach Raleigh Manor gekommen war, ihre ganze Familie bei einem Massaker der Schotten verloren und war selbst brutal vergewaltigt worden. Es hatte Jahre gedauert, aber sie war darüber hinweggekommen.
» Die erste Zeit danach fühlt man sich, als sei man tot « , hatte sie Elizabeth ihre Empfindungen beschrieben. » Man will nicht denken, nicht reden, keine Menschen um sich haben. Mit der Zeit wird es besser. Gib ihr noch ein paar Monate, dann wird sie langsam wieder sie selbst werden. «
Elizabeth hätte den Rat gern befolgt, doch ihnen blieben keine Monate mehr. Sie würde abreisen, und Anne würde hierbleiben, und möglicherweise war es ein Abschied für immer– zumindest war das der Stand der Dinge gewesen, bevor sie Duncan ins Gefängnis gesteckt hatten.
Sie zügelte Pearl und wollte absitzen, doch William war bereits bei ihr und hob sie ohne große Umschweife aus dem Sattel. Er hielt sie mit kräftigem Griff unter den Armen und stellte sie mit Schwung auf die Füße. Sein markantes Gesicht spiegelte Freude wider. Sie spürte, dass er aufgeregt war wegen ihres Besuchs. Er hatte seine Gefühle noch nie besonders gut verbergen können.
» Elizabeth! Du bist noch einmal hergekommen vor deiner Abreise! « Er strahlte sie an und umfasste ihre Hände. » Ich freue mich sehr. «
» Was dachtest du denn? Dass ich ohne ein Wort verschwinde? « Sie verschwieg ihm, dass es um ein Haar dazu gekommen wäre. Rasch zupfte sie ihr Gewand zurecht und kam sich mit ihrem ausladenden Bauch unförmig vor wie ein Wal. Unter ihrem Gewand schwitzte sie heftig, alles an ihr war feucht und klamm. Bevor sie aufgebrochen war, hatte es geregnet– einer jener heftigen, oft unvermittelt einsetzenden Schauer, die nur kurze Zeit währten, aber die Luft in eine Wand aus klebriger, warmer Nässe verwandelten. Wenn dann der Himmel wieder aufriss und die Sonne herabstach, konnte man manchmal kaum atmen, vor allem um die Mittagszeit herum. Die tropische Schwüle lag wie ein dunstiger Schleier über allem und behinderte jede
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