Wind der Gezeiten - Roman
geschmiedet, dass doch noch etwas schiefgeht. Aber dazu brauche ich deine Hilfe. «
» Die bekommst du jederzeit, wie du sicher bereits weißt. « Er deutete auf den Lehnstuhl. » Aber erst mal setzt du dich hin, dann können wir in Ruhe reden. «
Celia beugte sich über den Herd und rührte in dem Lammragout, das über dem Kochfeuer auf kleiner Flamme in einem flachen Topf schmorte. William hatte gesagt, dass er später essen wolle, was bedeutete, dass ihn der Hunger überkommen würde, sobald er seine Niedergeschlagenheit wegen Anne wieder ein wenig überwunden hatte. Celia kannte William von klein auf und wusste, dass er sich nie lange von schlechten Gefühlen beeinträchtigen ließ. Nicht etwa weil er der geborene Optimist gewesen wäre, sondern eher weil er sich selbst keine Schwäche erlaubte. Stets nahm er sich in einem Maße in die Pflicht, dass einen Mitleid überkommen musste, wenn man ihm dabei zusah. Er gönnte sich keine Ruhe und kein Innehalten, immer musste unverzüglich alles getan werden, was nötig war. Täglich schindete er sich bis zur Erschöpfung. Er stand im Morgengrauen auf und schuftete bis zum Sonnenuntergang. Überall, wo gearbeitet wurde, war auch er nicht weit– auf den Zuckerfeldern, bei der Mühle, im Siedehaus, auf der Baustelle.
Celia kostete von dem Ragout und gab ein wenig Pfeffer hinzu, um den Geschmack abzurunden. William schätzte ihr Essen, er lobte sie oft dafür, und sie war froh, ihm wenigstens damit etwas Gutes tun zu können. In diesen Tagen hatte er wenig Grund zur Freude. Viel zu selten hatte er Menschen um sich, die erkannten, wie es in ihm aussah. Es gab niemanden, der ihn aufmunterte und tröstete, wenn er das Leid über den Tod seiner Mutter kaum noch aushielt. Niemanden, der ihn dafür bewunderte, was er alles geleistet hatte in den letzten Monaten. Keiner außer ihr sah, welche Kraft es ihn kostete, nach den schlimmen Schicksalsschlägen das Haus wieder aufzubauen, die große Plantage zu bewirtschaften und gleichzeitig voller Pflichtbewusstsein die politischen Geschicke der Insel mitzubestimmen. Keiner außer ihr merkte, dass er das Bein beim Gehen ein wenig nachzog, weil es ihm noch wehtat. Um sein Leben zu retten, hatte er während des Brandes aus dem Fenster springen müssen. Die Verletzung war gut verheilt, aber er hatte zu früh wieder mit der Arbeit angefangen. Er konnte sich einfach nicht schonen, sondern musste sich dauernd um alles und jeden kümmern. Beispielsweise gerade jetzt schon wieder um Lady Elizabeth, obwohl die es am wenigsten nötig hatte. William legte ihr sein Herz zu Füßen, und sie nahm es, quetschte es aus und ließ es blutend liegen. Warum nur sah er nicht, dass er ihr völlig gleichgültig war?
Aus dem nach zwei Seiten offenen Küchenhaus hatte Celia gute Sicht auf die Hütten und den Vorplatz mit dem knorrigen alten Feigenbaum. Mit leisem Groll beobachtete sie, wie Lady Elizabeth in Annes Lehnstuhl Platz nahm und William vor ihr in die Hocke ging, damit sie nicht zu ihm aufschauen musste. Sein Bein schmerzte sicher bei dieser Kniebeuge, doch die Höflichkeit ging anscheinend vor.
Anne kam ins Küchenhaus und stellte ihren halb vollen Teller auf die Anrichte. » Das Essen war sehr gut, vielen Dank « , sagte sie höflich. » Wir haben Besuch. Elizabeth ist gekommen. Ich denke, wir reichen ihr Tee und etwas Gebäck. «
Aber sicher, dachte Celia sarkastisch. Wir reichen Mylady Gebäck. Das ist das wenigste, was wir tun können, um unsere Gastfreundschaft unter Beweis zu stellen.
Wortlos ging sie zum Vorratsschrank und öffnete ihn. Sie hatte in der Vorwoche ein Blech besonderer Kekse gebacken, weil sie wusste, dass William sie mochte. Letzten Monat hatte ein Handelsschiff, das aus Brasilien kam, Kakaobohnen mitgebracht, eine teure Delikatesse, die sich wachsender Beliebtheit erfreute. Zermahlen und mit Kokosfett, Mandeln, Zucker und Mehl vermengt, konnte man die köstlichsten Kekse daraus zubereiten. Sie legte zwei davon auf ein Brett und fügte nach kurzem Überlegen noch einen hinzu. Rückte sie nur zwei heraus, würde William ganz sicher keinen davon essen, sondern beide Elizabeth überlassen. Sie schüttete Tee in die Kanne, zog den Topf mit dem Ragout vom Feuer und hängte den Wasserkessel darüber. Anne war an der Anrichte stehen geblieben und sah ihr zu. Ein wenig verloren lehnte sie sich gegen den schweren Zedernholztisch, die Hände in einer seltsam kindlich anmutenden Geste verschränkt, fast wie zum Gebet. Wäre sie noch
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