Wind der Gezeiten - Roman
Bewegung. Elizabeth stützte sich eine Hand ins Kreuz und wünschte sich, wieder schlank zu sein, doch sofort wies sie sich in Gedanken für diese selbstsüchtige Anwandlung zurecht. Es gab wahrlich andere Sorgen, die viel ärger waren als ihr Leibesumfang und die damit verbundenen Beschwernisse.
» Wo ist Deirdre? « William musterte sie ein wenig besorgt. » Du solltest nicht mehr allein ausreiten. «
» Sie muss sich um Johnny kümmern. Er hatte letzte Nacht hohes Fieber, eine Zeit lang befürchteten wir… Nun, es geht ihm besser, dem Himmel sei Dank, aber mir ist wohler, wenn Deirdre auf ihn achtgibt. Und Felicity– nun, du weißt ja, dass sie Angst vor Pferden hat. « Sie holte Luft, und mit einem Mal spiegelte sich Verzweiflung in ihrem Blick.
» Duncan sitzt im Gefängnis. «
» Was sagst du da? « William blickte sie entgeistert an.
» Eugene Winston war heute bei Tagesanbruch mit einem halben Dutzend Soldaten da und hat ihn festgenommen. Angeblich auf Verfügung des Gouverneurs. «
» Dieser elende Intrigant! « Williams Kiefer mahlten vor Zorn.
» Gestern hatte ich noch mit Duncan darüber gesprochen. Er meinte, die Pflanzer seien auf unser Geld aus. Du habest ihm diese Information zukommen lassen. «
» Das tat ich « , bestätigte William mit umwölkter Miene. » Aber wie es scheint, habe ich nicht mit Eugene Winstons Niedertracht gerechnet. Von einer konkreten Anklage war in der Ratsversammlung überhaupt keine Rede, so weit waren sie in ihren Überlegungen noch gar nicht vorgedrungen. Eugene muss davon Wind bekommen und es selbst in die Hand genommen haben. «
» Er ist sogar noch weiter gegangen. Bevor ich vorhin losgeritten bin, bekam ich Nachricht von der Elise. Die kleine Ratte hat das Schiff beschlagnahmen lassen, vermutlich in der Annahme, unser Gold sei bereits an Bord. Die Soldaten haben schon angefangen, es zu durchsuchen. «
» Wenn ich dein entschlossenes Gesicht betrachte, will mir scheinen, dass das Gold in Wahrheit nicht dort ist. «
» Damit hast du recht. « Sie wandte sich Pearl zu und machte sich an der Satteltasche zu schaffen, um den dort verstauten Sack herauszuholen, doch wieder kam William ihr zuvor und half ihr.
» Lieber Himmel, du hast es mitgebracht! « Er setzte den prallen, schweren Lederbeutel zu seinen Füßen ab.
» In der anderen Tasche ist auch noch einer. « Elizabeth ging um Pearl herum und öffnete die zweite Satteltasche. William nahm den dort befindlichen Sack ebenfalls heraus, um ihn zu dem ersten zu legen und dann beide mit gerunzelter Stirn zu betrachten.
Es war mehr Geld, als alle Pflanzer auf Barbados zusammen besaßen. Bezahlt wurde auf der Insel hauptsächlich mit Zucker, Tabak oder Indigo. Oder mit Wechseln, sofern ausreichendes Vertrauen in die betreffenden Geschäftspartner bestand, was jedoch längst nicht immer der Fall war. Gold und Silber waren knapp auf der Insel, so knapp, dass allein das Wissen um Elizabeths Reichtum Begehrlichkeiten wecken musste. Ihre Mesalliance mit dem verabscheuungswürdigen, verräterischen Freibeuter Duncan Haynes war nur der willkommene Anlass, um auf dem Umweg über eine gegen ihn erhobene Anklage Hand auf dieses Gold zu legen.
Anne hatte sich aus ihrem Lehnstuhl erhoben und kam herüber. Von den Säcken zu Williams Füßen nahm sie keine Notiz.
» Elizabeth. Wie schön, dass du uns besuchen kommst. Ich werde Celia bitten, dir eine Erfrischung zu bringen. « Es klang höflich und unbeteiligt, als sei Elizabeth nicht ihre beste Freundin, sondern ein beliebiger Gast.
Elizabeth betrachtete Anne in einer Mischung aus Kummer und Wut. Am liebsten hätte sie die Freundin gepackt und geschüttelt, bis sie wieder bei Sinnen war. Sie wollte sie anschreien, ihr klarmachen, dass sie bald fort war und sie einander vielleicht nie wiedersehen würden, doch das wusste Anne ja bereits. Nur schien es ihr nicht im Mindesten nahezugehen, ebenso wenig wie alles andere, was um sie herum geschah.
Mit leichten Schritten ging Anne davon, um Celia zu suchen. Elizabeth blickte ihr bedrückt nach, dann wandte sie sich wieder William zu.
» Es wird nicht besser mit ihr « , sagte sie leise.
Ein wenig angestrengt hob er die Schultern, dann deutete er auf das Gold.
» Was soll damit geschehen? «
» Du sollst es für mich aufbewahren, damit Eugene und der Gouverneur es nicht in die Finger kriegen. Bis auf einen Teil davon, den wir für unseren Plan brauchen. Genau genommen ist es Duncans Plan; er hatte ihn für den Fall
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