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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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meiste Zeit des Tages herum und tat so, als würde sie lesen oder sticken, während sie in Wahrheit nur grübelnd ins Leere blickte. Sie hatte Mutters Tod noch schlechter verkraftet als er selbst, der sich immerhin tagein, tagaus mit niemals endender Arbeit ablenken konnte.
    Hin und wieder schaute Elizabeth auf Summer Hill vorbei und besuchte Anne, doch damit war es nun auch vorbei, denn schon am kommenden Tag wollte sie abreisen– und möglicherweise nie mehr zurückkehren. Sie und Duncan hatten ursprünglich schon im Januar fahren wollen, doch durch eine plötzliche Erkrankung von Elizabeths Cousine hatte sich die Abreise verzögert. William war dankbar, dass Elizabeth noch eine Weile geblieben war, denn er hatte gehofft, dass sie Anne helfen würde, sich wieder zu fangen. Doch der Zustand seiner Schwester hatte sich nicht wesentlich verbessert, und allmählich begann er sich zu fragen, ob sie jemals wieder aus ihrer Melancholie herausfinden würde.
    Als er sich der Hütte näherte, sah er, dass Anne wie üblich in ihrem Lehnstuhl saß, der auf dem Vorplatz der Hütte im Schatten eines Feigenbaums stand. An einer Seite sprossen Luftwurzeln aus dem Geäst zum Erdboden hin und schirmten sie ab, wie zum Schutz gegen allzu eindringliche Blicke. Sie hielt eine Stickarbeit auf den Knien und blickte nicht auf, als William zu ihr trat.
    » Hast du schon zu Mittag gegessen? « , fragte er, einer seiner üblichen hilflosen Versuche, ein Gespräch in Gang zu bringen, obwohl es doch so offensichtlich war, dass sie nichts weiter wollte als ihre Ruhe.
    » Celia will mir etwas bringen. Sicher kommt sie gleich. « Ihre sanfte Stimme und ihr ein wenig hageres Gesicht vermittelten den Eindruck von Gleichmut. Ihr adrett gescheiteltes und an den Seiten zu Schnecken aufgerolltes Haar, ihr sauber geplättetes Kleid und die ordentlich nebeneinanderstehenden, in Schuhen aus feinem Saffian steckenden Füße schienen der überzeugende Beweis dafür zu sein, dass sie alles unter Kontrolle hatte. Hätte sie sich gehen lassen, hätte sie geweint oder geklagt oder den Verlust der Mutter betrauert– William hätte damit leichter umgehen können als mit dieser so perfekt aufrechterhaltenen Fassade und der Gleichförmigkeit ihrer geistigen Abwesenheit.
    Während er noch überlegte, ob er eine weitere Frage stellen sollte– etwa, ob es ihr in der Mittagshitze nicht zu heiß sei, oder ob sie wisse, wann Elizabeth vorbeikäme, um sich zu verabschieden–, näherte sich Celia. Mit raschen, anmutigen Schritten kam sie von dem Küchenhaus herüber, dem einzigen Nebengebäude, das nach dem Brand noch stehen geblieben war.
    » Da kommt Celia mit meinem Essen « , sagte Anne. Sie legte die Handarbeit zur Seite, damit Celia das Tablett mit den Speisen auf ihren Knien absetzen konnte.
    » Gebratener Fisch und Kürbis und zum Trinken Limonade « , sagte Celia. » Lasst es Euch schmecken, Lady Anne. «
    Anne blickte kaum auf. » Vielen Dank für deine Mühe, Celia. Was täte ich nur ohne dich? Vielleicht möchte William ja auch etwas essen. Ist noch etwas davon da? «
    William spürte, was sie in Wirklichkeit sagen wollte: Steh hier nicht herum, sieh mich nicht so an!
    Ihre zusammengezogenen Schultern signalisierten, dass sie sich von seiner Anwesenheit in die Enge getrieben fühlte. Dabei forderte er nie etwas von ihr; damit hatte er schon vor Wochen aufgehört. Anfangs hatte er sie noch ermuntert, doch auszureiten oder sich um kranke Arbeiter zu kümmern, so wie sie es früher immer getan hatte. Oder wenigstens einmal mit dem Wagen nach Bridgetown zu fahren, um Elizabeth in Dunmore Hall zu besuchen. Zu allen Vorschlägen hatte sie immer nur matt genickt, und manchmal hatte sie auch nichtssagende Antworten gegeben, etwa: » Ja, das muss ich bald wieder einmal machen. « Unternommen hatte sie jedoch nie etwas.
    » Ich habe Lammragout für Mylord auf dem Herd « , sagte Celia. Die junge Mulattin war abwartend neben dem Baum stehen geblieben. Sie trug den üblichen ärmellosen grauen Baumwollkittel, der in der Taille mit einem Strick zusammengehalten wurde. Das lockige dunkle Haar hatte sie im Nacken zu einem festen Zopf geflochten. Auf eine Haube hatte sie wegen der Hitze verzichtet, zumal es in der Küche noch um einiges wärmer war als im Freien. Ihr ebenmäßig geschnittenes Gesicht hatte die Farbe von Zimt und wildem Honig, die leicht schräg stehenden Augen waren hell wie Bernstein. Wie immer war sie barfuß, und der Anblick ihrer grazilen Fesseln sowie

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