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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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der nackten, schlanken Arme irritierte William ein wenig. Er wusste nicht genau, wann er angefangen hatte, Celia als Frau wahrzunehmen. Vielleicht seit jener Nacht, in der sie Harold Dunmore getötet hatte. Ihren leiblichen Vater. Seither erschien sie ihm in manchen Augenblicken fremd, als habe er sie nie wirklich gekannt. Es war ein bestimmter Ausdruck in ihrem Gesicht und in ihrer Körperhaltung, etwas, das sie wild und zugleich erhaben wirken ließ, wie eine Rachegöttin aus einem heidnischen Mythos. Etwas davon nahm er immer noch an ihr wahr, es schien zuweilen in ihren Augen aufzuglimmen wie der Widerschein eines entfernten Wetterleuchtens, und in solchen Momenten fragte er sich, ob es nicht vielleicht schon immer da gewesen war.
    William hatte nicht mit ihr über die Ereignisse dieser blutigen Nacht gesprochen, denn es kam ihm so vor, als sei sie, genau wie Anne, darauf erpicht, alles Vergangene in ihrem Inneren zu verschließen und nicht daran zu rühren. Im Gegensatz zu seiner Schwester gestaltete sie jedoch ihren Alltag wie immer. Sie stand mit den Hähnen auf, kochte für die Arbeiter sowie für ihn und Anne, säuberte die Hütte und versorgte die Kranken mit ihrer selbst gemachten Medizin. An den Sonntagen begleitete sie ihn und Anne nach Saint James zur Messe. Sie trug dann ihr gutes Kleid, ein Gewand aus blauem Kattun, sowie abgelegte Schuhe von Anne, die sie jedes Mal sofort nach ihrer Rückkehr wieder auszog. Ihr Haar hatte sie während des Kirchgangs stets sittsam unter einer Haube versteckt, die auch ihr Gesicht beschirmte. Sie hielt sich im Hintergrund, um so wenige Blicke wie möglich auf sich zu ziehen. Die Neugier und die Sensationslust der Leute hatten mit der Zeit nachgelassen. Zwar wurde hier und da immer noch getuschelt, denn alle Welt wusste, dass sie die Tochter des wahnsinnigen Harold Dunmore und einer schwarzen Sklavin war und dass sie ihm eigenhändig den Dolch in die Brust gestoßen hatte, um Anne, ihre Herrin, vor ihm zu retten. Doch zum Glück wurde mit der Zeit auch die größte Sensation langweilig. Die neugierigen Blicke hatten nachgelassen und irgendwann aufgehört. Celia hatte wieder ihre Ruhe, und darüber war William enorm erleichtert. Vor allem auch darüber, dass niemand ihr anderes, ungleich gefährlicheres Geheimnis gelüftet hatte, denn das hätte sie vielleicht doch noch an den Galgen gebracht: Sie war die Geliebte von Akin gewesen, dem Rädelsführer der aufständischen Sklaven, die im vorigen Jahr Tod und Verderben über die Insel gebracht hatten, bevor sie nach blutigen Kämpfen überwältigt und zusammengetrieben worden waren wie ausgebrochenes Vieh. Etliche waren zur Strafe an Ort und Stelle aufgehängt worden. Akin, ein großer Schwarzer vom Stamm der Yoruba, hatte ein schrecklicheres Schicksal erlitten: Harold Dunmore hatte ihn in einen Käfig gesteckt und bei lebendigem Leib verbrannt. Celia hatte hilflos zusehen müssen.
    William und sie teilten folglich ein schlimmes Schicksal– beide hatten sie geliebte Menschen durch die Hand desselben Mörders verloren. Vielleicht war dies ja das Band, das sie enger als zu den Zeiten ihrer gemeinsam auf Summer Hill verbrachten Kindheit zusammenschmiedete.
    » Soll ich Euch davon auftun, Mylord? « , fragte Celia ihn. Es klang ungeduldig.
    » Was? « , fragte er verwirrt, unvermittelt aus seinen Erinnerungen gerissen.
    » Von dem Ragout. «
    » Oh. Nein, ich habe keinen Hunger. Ich esse später. Aber von der Limonade würde ich gern trinken. «
    Sie machte Anstalten, zum Küchenhaus zurückzugehen, blieb jedoch nach einigen Schritten stehen.
    » Master Penn war vorhin da « , sagte sie über die Schulter.
    » George? Was wollte er? «
    » Dasselbe wie immer. Er hat Lady Anne seine Aufwartung gemacht und ist wieder gegangen. «
    In ihrer Miene zeigte sich eine Spur von Verachtung, bevor sie sich abwandte und weiterging. Sie hatte George Penn noch nie leiden können. William unterdrückte ein Seufzen. Anne schien den Umstand, dass sie mit George verlobt war, ebenso verdrängt zu haben wie den Rest ihres früheren Lebens. Sie ließ Georges unbeholfene Versuche, sie an ihre gemeinsamen Hochzeitspläne zu erinnern, mit derselben höflichen Teilnahmslosigkeit an sich abperlen wie alles andere. Es wunderte William, dass George überhaupt noch herkam. Seine Besuche waren zwar seltener geworden, aber bisher hatte er noch keine Anstalten gemacht, die Verlobung zu lösen, was William unter den gegebenen Umständen am liebsten gewesen

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