Wind der Gezeiten - Roman
demütigenden Gang zu Claire Dubois’ Taverne auf sich genommen hatte. Entsetzen hatte sich ihrer bemächtigt, als sie das Klatschen der Peitsche und das Weinen gehört hatte. Noch lange hatten ihr die gequälten Laute in den Ohren gehallt, obwohl sie rasch weitergegangen war. Nur mit Mühe hatte sie dem Drang widerstanden, dem Aufseher die Peitsche zu entreißen und ihn damit zu züchtigen, ebenso auf ihn einzuschlagen, wie er es bei den wehrlosen Schwarzen tat, doch sie hatte sich zurückgehalten, um ihren Plan nicht zu gefährden. Duncans Leben stand über allem anderen, sie durfte keine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Winstons Männer waren stets in der Nähe, sie behielten die Elise beständig im Auge, als lauerten sie nur darauf, dass jemand das Gold an Bord bringen und mit dem Schiff fliehen wollte. Elizabeth hatte sich vorsehen müssen. Wenn jemand sie im Hafenviertel beobachtet hätte, wäre ihr Vorhaben aufgeflogen.
Auch jetzt war sie vorsichtig, obwohl zu dieser vorgerückten Stunde nicht mehr viele Menschen zu sehen waren. Hier beim Gatter war niemand, der Marktplatz war leer, die nächstgelegenen Häuser dunkel. Der Lärm aus den Hafengassen war weitgehend verstummt. Das Ende der Hundswache war nahe, ihre Flucht stand unmittelbar bevor.
Sie hörte ein Geräusch und blickte auf. William trat aus den Schatten hinter dem Pferch und näherte sich mit raschen Schritten. Halb unter dem Umhang verborgen trug er eine kleine Talgleuchte, deren spärliches Licht gerade ausreichte, um seine angespannten Gesichtszüge zu erhellen.
» Lizzie « , flüsterte er. » Ist alles in Ordnung? «
» Ja « , gab sie ebenso leise zurück. In Wahrheit war ihr erbärmlich zumute. Sie legte die Hand auf Pearls Hals und bezwang mit Macht die aufsteigenden Tränen. Es half ja doch nichts! Die Stute mitzunehmen war unmöglich, es hätte sie alle in Gefahr gebracht. Dafür hätte die Elise am Kai anlegen und Pearl mit einem Ladekran an Deck gehievt werden müssen, es hätte Lärm und Aufsehen gegeben. Folglich musste das Pferd hierbleiben.
» Master Duncans Leben geht vor « , hatte Duncans Bootsmaat John Evers es zusammengefasst, mit einer Entschiedenheit, die jede Debatte von vornherein ausschloss. Doch Elizabeth hätte ihm ohnehin nicht widersprochen, denn die Angst um Duncan brachte sie beinahe um. Er hatte John Evers befohlen, mit ihr und Johnny in See zu stechen, falls seine Flucht misslingen sollte; sie war dabei gewesen, als er es ihm gesagt hatte.
» Egal wie es ausgeht– bring meine Familie in Sicherheit. «
Sie wusste nicht, ob sie die Kraft haben würde, ohne ihn die Insel zu verlassen. Vielleicht würde sie es am Ende tun, um ihrer Kinder willen. Doch ihr Herz wollte bei dem bloßen Gedanken in Stücke brechen.
William trat zu ihr und nahm ihre Hände in seine.
» Was ist? « , flüsterte er, als er ihr Zittern bemerkte.
» Ich habe Angst. «
» Alles wird gut. Doyle hat das Gold genommen, und er wird seinen Teil tun, um zu verhindern, dass er bloßgestellt wird. Vor einer halben Stunde hat er Duncan zu sich bringen lassen. Ich habe es aus einem Versteck heraus beobachtet. Mach dir keine Sorgen, Lizzie. «
» Ich kann erst aufatmen, wenn wir aus der Bucht ausgelaufen sind. «
» Das wird nicht mehr lange dauern. Aber vergiss das Wichtigste nicht– hier, der Rest deines Goldes. « William zog die beiden Beutel, die um einiges leichter waren als noch vor Tagen, von seinem Gürtel und hängte sie über das Gatter. Die fehlenden Goldstücke waren teils in den Besitz des Gouverneurs, teils in den von Claire Dubois übergegangen, und ein weiterer Teil war bei William selbst verblieben. Elizabeth hatte darauf bestanden, denn sie wusste, dass William nach den Verlusten des vergangenen Jahres nicht auf Rosen gebettet war. William hatte zunächst protestiert, war aber am Ende Geschäftsmann genug, um einzusehen, dass diese Zuwendung keine Gefälligkeit, sondern wirtschaftlich unverzichtbar war. Die Verwaltung von Rainbow Falls, die er für Elizabeth übernommen hatte, würde eine Menge Geld kosten, bevor die nächsten Zuckerernten ausreichende Erträge abwarfen.
Bittend blickte sie zu ihm auf. » William, Pearl muss auf der Insel bleiben. Es ist schrecklich für mich, aber es lässt sich nicht ändern. Kannst du sie nach Summer Hill mitnehmen? «
» Natürlich. Ich werde mich gut um sie kümmern. «
» Sie ist nicht an Sporen gewöhnt, und auch auf die Gerte habe ich immer verzichtet. «
» Ich werde sie
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