Wind der Gezeiten - Roman
behutsam behandeln. «
» Daran zweifle ich nicht. Du kannst gar nicht anders, denn du bist die Güte und Sanftmut in Person. Ich weiß nicht, womit ich es verdient habe, dass du so viel für mich tust. « Elizabeth schluckte heftig und versuchte, die Tränen zu unterdrücken, die sich nun mit Macht Bahn brachen.
» Lizzie! « Bestürzt streckte William die Arme aus und zog sie an sich. » Weine doch nicht! Alles wird gut gehen! «
Sie schluchzte an seiner Brust, während er sie vorsichtig an sich drückte und ihr übers Haar strich wie einem traurigen Kind. Trotz ihres ausladenden Leibes kam sie sich klein vor in seiner Umarmung, so brüchig und substanzlos wie ein Blatt im Wind. Ihre ganze Kraft war auf einen Schlag von ihr gewichen. Die ganze Zeit war sie Herrin der Lage gewesen, alle hatten geglaubt, nichts könne sie erschüttern. Ruhig und umsichtig hatte sie alle Pläne in die Tat umgesetzt. Sie hatte den Aufbruch überwacht und darauf geachtet, dass er ohne jedes Aufsehen vonstattenging. Über Stunden hinweg hatte sie Felicity beruhigt, Anne gut zugeredet und Deirdre beim Packen der letzten Habseligkeiten geholfen. Kurz nach Mitternacht hatte John Evers dann Felicity, Anne, Johnny, Deirdre und Pater Edmond abseits der Mole mit einem Boot abgeholt und aufs Schiff gebracht, und gleich würde er ein weiteres Mal zur Elise übersetzen, diesmal mit ihr selbst und mit Duncan an Bord. Alles war vorbereitet, es fehlte nur noch Duncan selbst. Doch nun, da alles so dicht vor dem erfolgreichen Abschluss ihrer Planungen stand, war ihre Stärke mit einem Mal namenloser, lähmender Angst gewichen. Sie konnte nicht mehr denken, nur noch untröstlich schluchzen und sich von William umfangen lassen. Er hielt sie fester und legte seine Lippen an ihre Schläfe. » Hab keine Furcht! Was immer auch geschieht– du kannst auf mich zählen. Niemals würde ich dich im Stich lassen. Ich werde dich mit meinem Leben beschützen und jeden töten, der dich bedroht. «
» Das übernehme wohl lieber ich « , kam es aus der Dunkelheit hinter ihm. Duncan trat zu ihnen, die Gestalt von einem schwarzen Umhang verhüllt und das Gesicht unter einem tiefgezogenen Hut verborgen.
Elizabeth stieß einen unterdrückten Aufschrei aus und entwand sich Williams Armen. Mit zwei Schritten war sie bei Duncan und umschlang ihn. Sie schluchzte immer noch, aber diesmal vor Glück.
» Du bist frei « , stammelte sie immer wieder. » Du bist frei! «
» Dann wollen wir doch zusehen, dass es auch dabei bleibt. « Duncan küsste sie auf Stirn und Wangen und schließlich auf den Mund. Anschließend wandte er sich zu William um. » Danke, alter Freund. Ich stehe tief in deiner Schuld. «
William neigte nur kurz den Kopf. Er schaute ein wenig betreten drein, gleichzeitig aber auch erleichtert. Es war ihm erkennbar peinlich, dass Duncan ihn in Umarmung mit Elizabeth vorgefunden hatte, obwohl es diesem völlig einerlei zu sein schien.
» Alsdann. Wir müssen los. « Duncan schulterte die Goldsäcke und schlang einen Arm um Elizabeth, bevor er sich noch einmal zu William umwandte. » Vielleicht sieht man sich eines Tages wieder. Irgendwo, irgendwann. «
» Wenn das Schicksal es so will. Pass bis dahin nur gut auf meine Schwester auf. «
» Das werde ich. « Duncan zögerte. » Und falls… sollte ich je… ich meine, wenn mich aus irgendwelchen Gründen der Teufel holt, dann solltest du… Ich meine, Lizzie und die Kinder… « Er stockte, offenbar brachte er es nicht heraus, doch William verstand ihn auch so.
» Mit meinem Leben und allem, was ich habe « , sagte er einfach. » Wann immer sie mich braucht– ich bin zur Stelle. Dafür hast du mein Ehrenwort. «
» Leb wohl, William « , sagte Elizabeth leise. » Ich danke dir für alles. «
» Leb wohl, Lizzie. Ich vergesse dich nie. «
Der Abschiedsschmerz nahm ihr den Atem. Gern hätte sie ein letztes Mal seine Hände genommen und in sein Gesicht gesehen, damit sie es besser in Erinnerung behielt, doch ihr blieb keine Zeit. Duncan zog sie mit sich, und erst als sie das Ende des Pferchs erreicht hatte, blickte sie über die Schulter zurück. William stand reglos neben Pearl, beide nur noch nächtliche Schemen, die Augenblicke später ganz von der Dunkelheit verschluckt wurden.
Duncan sprach nicht viel, während sie durch die Nacht eilten. Elizabeth atmete schwer vor Anstrengung. Sie stolperte mehrmals, weil es so dunkel war und sie wegen ihres Umfangs nicht sehen konnte, wohin sie ihre Füße setzte,
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