Wind der Gezeiten - Roman
und Handlanger, den Abtransport überwachte, kümmerte Claire selbst sich darum, dass Eugene Winston keinen Unfug anstellen konnte. Er lag in ihrem Bett, schläfrig von dem Rum, den sie ihm kurz zuvor kredenzt hatte. Das Mittel, das sie hineingemischt hatte, wirkte schnell. Er würde später nicht wissen, ob seine Erschöpfung von dem anstrengenden Liebesakt herrührte oder vom Schnaps. Benommen blinzelnd versuchte er, sich aufzusetzen, als sie das Zimmer betrat.
» Wa…was is los? « , lallte er. » Muss… ich aufstehen? «
» Natürlich musst du das, aber du darfst ruhig noch ein halbes Stündchen ausruhen, wenn du willst. « Sacht drängte sie ihn zurück in die Kissen und bedeckte seinen feisten, weißen Leib mit einem Laken. » Du bist der letzte Besucher, und wie es scheint, bist du sehr müde, mein Lieber. Sicher hattest du einen harten Tag. Schlaf ein bisschen. Danach sehen wir weiter. «
Während Eugene in Claires Gemach in ohnmächtigen Schlaf sank, ließ sich der Gouverneur in der Residenz den todgeweihten Gefangenen Duncan Haynes zum Verhör vorführen.
Der junge Leutnant, dem er diesen Befehl gab, nahm vorschriftsmäßig Haltung an, als sein oberster Amtsherr ihn mit diesem Ansinnen von seinem Posten aufscheuchte.
» Wie Ihr wünscht, Exzellenz. « Er wirkte höchst befremdet, erhob aber keine Einwände.
Nachdem die Wachleute den in Ketten gelegten Delinquenten in Doyles Amtszimmer gebracht hatten, befahl dieser ihnen, draußen vor der Tür zu warten. Der Leutnant gestattete sich den Einwand, dass der Gefangene sicherlich gefährlich sei. Doyle zeigte verärgert auf den Säbel an seinem Gürtel.
» Sehe ich etwa aus, als sei ich außerstande, des Angriffs eines in Ketten gelegten Mannes Herr zu werden? «
Der Leutnant beteuerte augenblicklich das Gegenteil und zog sich mit seinen Männern zurück, um draußen vor der Tür Stellung zu beziehen. Duncan war abwartend in der Mitte des Raums stehen geblieben und sah reglos zu, wie Doyle murrend in der Lade eines Schreibtischs herumkramte und schließlich einen Schlüssel zum Vorschein brachte.
» Wie wollt Ihr später den Zweck dieses nächtlichen Verhörs begründen? « , erkundigte Duncan sich. » Euer übereifriger Adjutant wird bestimmt nicht der Einzige sein, der danach fragen wird. «
» Nun, ich werde behaupten, Eure anstehende Hinrichtung habe mich um den Schlaf gebracht. Das Schicksal Eurer Gattin und Eures ungeborenen Kindes habe mein tiefes Mitgefühl geweckt. Weshalb ich Euch habe nahelegen wollen, ein Gnadengesuch einzureichen, um die Strafe abzumildern. Beispielsweise auf schlichtes Erhängen. « Doyle lächelte ein wenig angestrengt. » Ein jeder weiß, dass ich kein Freund drakonischer Hinrichtungen bin. «
» Es war allein Eure Entscheidung, mich zum Tode zu verurteilen. «
» Ihr habt mir keine andere Wahl gelassen. Eure impertinente, dreiste Art hat diese Strafe förmlich herausgefordert. « Doyle reckte die Schultern. Sein verlebtes Gesicht zeigte einen Ausdruck rechtschaffener Entrüstung. » Ihr habt es Euch selbst zuzuschreiben. Außerdem kann auf Hochverrat nur die Todesstrafe ausgesprochen werden. So will es das Gesetz. «
» Zum Glück verbietet Euch das Gesetz nicht, mein Angebot zur Auflösung dieses Dilemmas anzunehmen. «
» Angebot? Ihr meint wohl eher Erpressung! «
» Nennt es, wie Ihr wollt. Hauptsache, es ist mit einem schönen Batzen Gold verbrämt. Welches Ihr Euch zudem einstecken könnt, ohne dass irgendwer je davon erfährt. Ihr müsst keinem deswegen Rechenschaft ablegen. Weder dem Rat der Pflanzer noch Eugene Winston. Und umgekehrt erfährt kein Mensch etwas über Eure heimlichen… Neigungen. Gebt es ruhig zu, einen besseren Handel hättet Ihr kaum eingehen können. «
Das konnte Doyle schlecht abstreiten. Er hätte schwören können, dass kein Mensch von seinem Hang zu jungen schwarzen Männern wusste, denn heimlicher als diese Treffen im Schutze der Nacht konnte kaum ein Schäferstündchen vonstattengehen. Seine beiden Sklaven hatten gewiss kein Sterbenswörtchen verlauten lassen. Schließlich wussten sie genau, dass man sie anderenfalls sofort aufgeknüpft hätte. Im Übrigen hatten sie als seine persönlichen Hausdiener ein fabelhaftes Leben bei ihm– kein Vergleich mit der Schinderei auf den Plantagen–, und das hätten sie gewiss nicht aufs Spiel gesetzt, indem sie plauderten. Aber wenn sie nichts verraten hatten– wer dann? Irgendwer musste es herausbekommen haben, auf welchem Weg auch
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