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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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in diese unsäglichen Machenschaften verstricken lassen konnte. Stirnrunzelnd blickte er den jungen Mann an, der mit auf dem Rücken verschränkten Händen vor ihm stand, die untersetzte, für sein Alter viel zu aufgeschwemmte Gestalt in geckenhafte Gewänder gekleidet. Spitzenjabot und Samtwams, dazu feinste lederne Schuhe, die eher auf einen Ball als in diese nüchternen Amtsräume passten– der Himmel allein wusste, woher der Junge seinen Geschmack in Bekleidungsfragen hatte. Am lächerlichsten aber waren die kanariengelben Beinkleider, die Farbe tat förmlich in den Augen weh. » Ich will von diesem Unfug nichts mehr hören. Lasst mich jetzt allein. Ach ja, und wechselt Eure Hose. Dieses Gelb ist grauenvoll. Wenn Ihr meinen Rat annehmen wollt: Sucht Euch einen neuen Schneider. «
    Die Röte in Eugenes rundlichen Wangen vertiefte sich.
    » Ich werde es mir vormerken « , sagte er ein wenig steif.
    » Was wolltet Ihr überhaupt? « , fragte Doyle. Er versuchte nicht länger, seine üble Laune zu verbergen, zumal diese größtenteils auf Eugenes Anwesenheit zurückzuführen war.
    » Ich habe eine vertrauliche Nachricht für Eure Exzellenz. Ein Bote kam gerade damit zur Residenz. « Eugene zog ein gesiegeltes Schriftstück aus seinem Gürtel und überreichte es Doyle. Der brach das Siegel auf und klappte den Brief auseinander, während Eugene abwartend stehen blieb, um ihm über die Schulter zu spähen. Doyle verdeckte wütend die Schriftzüge mit der Hand.
    » Hinaus mit Euch, Winston. Lesen kann ich immer noch allein. «
    » Sehr wohl. « Mit gekränkter Miene verneigte Eugene sich und verließ den Raum, während Doyle die Zeilen überflog und anschließend aufgeschreckt den Brief sinken ließ. Mit einem Mal hatte er Mühe, richtig zu atmen. Dann fing er an, fieberhaft nachzudenken.

10
    D er Constitution River glitzerte im Mondlicht. Er durchschnitt mit sachtem Rauschen die Ortschaft und verbreiterte sich im Bereich der Bucht, bevor er ins Meer mündete. Die Brücke, die ihn überspannte, hatte der Stadt einst ihren Namen gegeben: Bridgetown, benannt nach der ursprünglich von Indianern errichteten Holzbrücke, die mittlerweile längst von den Kolonisten erneuert worden war. Die Sümpfe, die früher hier die Umgebung bestimmt hatten, waren in den letzten Jahrzehnten trockengelegt worden. Die Stadt war nach Ankunft der ersten Siedler vor gut fünfundzwanzig Jahren rasch gewachsen. Überall waren Häuser wie Pilze aus dem Boden geschossen. Es gab eine Kirche, eine Festung und eine Residenz, und der Hafen war gesäumt von hölzernen Docks, Bootsstegen und Schuppen. In den Gassen rund um den Hafen drängten sich Schankstuben, Wirtshäuser und Spielhöllen aneinander. Hier herrschte auch zu nächtlicher Stunde noch reges Leben. Bei Fackellicht torkelten Betrunkene umher, zumeist Seeleute, die nach den wochen-, oft monatelangen Entbehrungen jede Gelegenheit nutzten, um über die Stränge zu schlagen. Offenherzig gekleidete, geschminkte Frauen standen vor verräucherten Spelunken, um nach Luft zu schnappen und ein Schwätzchen zu halten. Die eine oder andere schäkerte mit liebesbedürftigen Matrosen, und an einer Ecke wurde lautstark über den Preis eines späten Schäferstündchens verhandelt. Hier und da hockte ein Zecher an einer Hauswand und schlief an Ort und Stelle seinen Rausch aus.
    Der Weg, der zwischen den Häusern hindurchführte, war schlüpfrig von einem abendlichen Regenguss und von den Hinterlassenschaften einer Schweineherde, die bei Tag von einem Frachter entladen worden war und dem Hirten, der sie an Land treiben sollte, unter ohrenbetäubendem Quieken entwischt war. Es stank zum Gotterbarmen, obwohl vom Meer her ein kräftiger Wind wehte. Gegen Abend hatte es merklich aufgefrischt; einige der Matrosen, die in Claire Dubois’ Schenke eingekehrt waren, hatten erklärt, es werde in der Nacht noch einen Sturm geben. Claire, die höchsten Respekt vor tropischen Unwettern hatte, war daraufhin unverzüglich zur Tat geschritten, wie immer, wenn sie fürchtete, es könne einen Orkan geben. Sie hatte ihre wertvollere Habe in Kisten packen und ein Stück weit landeinwärts vergraben lassen. Beim letzten Hurrikan, der eine Flutwelle über das Land getrieben hatte, war von ihrem Besitz nicht viel übrig geblieben. Sie hatte nicht nur ihr Haus, sondern auch all ihre guten Kleider und mehrere kostbare Teppiche verloren, das sollte ihr nicht wieder passieren. Während Jacques, ihr großer bretonischer Beschützer

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