Wind der Gezeiten - Roman
Gemeinsam zerrten sie anschließend die Leichen in die Senke und bedeckten sie mit Sand, Steinen und Zweigen. Elizabeth überwand ihren Ekel und bemühte sich bei jedem Handgriff um Zielstrebigkeit und Effizienz. Sie wünschte sich möglichst weit weg, doch zuerst mussten alle Spuren beseitigt werden. Nachdem die Männer verscharrt waren, besah sie sich das Grab mit den Augen eines zufällig vorbeikommenden Betrachters. Verborgen von dem ringsum wachsenden Gesträuch, wirkte die Stelle aus einigen Schritten Entfernung völlig unauffällig. Dennoch half ihr diese Gewissheit kaum dabei, ihre Fassung zurückzugewinnen. Sie musste tief durchatmen, um die immer wieder aufsteigende Übelkeit zu bezwingen.
Zena warf Sand über den blutgetränkten Boden, wo die Männer gestorben waren, während Elizabeth sich daranmachte, ihr Hemd auszuziehen. Es hatte Blutspritzer abbekommen, die sich nicht auf die Schnelle entfernen ließen, also vergrub sie es kurz entschlossen in der Nähe der Leichen. Ihr Oberkleid war zum Glück sauber geblieben, was sie der Notwendigkeit enthob, sich für Deirdre, die sich um ihre Wäsche kümmerte, langatmige Erklärungen ausdenken zu müssen. Elizabeth hatte es gerade wieder übergestreift und sich die Schuhe angezogen, als ihr siedend heiß das Boot einfiel. Hastig wandte sie sich zum Wasser um, doch der Kahn der beiden Männer war bereits weit abgetrieben worden.
» Verdammt « , entfuhr es ihr, wobei es sie wenig störte, dass sie ihren ganzen Verfehlungen mit diesem Fluch noch die Sünde der Gottlosigkeit hinzufügte. » Wenn jemand das Boot findet, wird man nach den beiden suchen. «
Zena, die ihrem Blick gefolgt war, schüttelte den Kopf. » Weiße nicht suchen. Denken, große Fisch kommen und fressen. «
» Du meinst, ein Hai? « Elizabeth dachte nach und nickte schließlich. » Du hast recht. Außerdem waren die beiden schwer betrunken. Da kann man leicht ins Wasser fallen. Was sie wohl hier wollten? «
» Frau « , sagte Zena. Es klang lakonisch.
Elizabeth nickte peinlich berührt, es war ihr unangenehm, dass sie nicht von allein darauf gekommen war. Natürlich waren die Männer ihr gefolgt. Sie hatten mitgekriegt, wie sie sich allein aufgemacht hatte, zu einem Spaziergang abseits vom Dorf. Sie hatten nichts weiter tun müssen, als sich in ihr Boot zu setzen und ihr gemächlich hinterherzurudern. Elizabeth schluckte hart, doch der Kloß in ihrem Hals ließ sich damit nicht loswerden. Das alles hätte nicht passieren müssen. Zwei Männer waren tot, ihretwegen. Mochten sie auch schlimme Schurken gewesen sein, so hatten sie doch nur dieses eine Leben gehabt, und das war jetzt ausgelöscht.
Elizabeth setzte sich auf einen Felsen und stützte den Kopf in die Hände. Hinter ihren Schläfen hatten hämmernde Schmerzen eingesetzt. Ihr Magen zog sich krampfartig zusammen, doch es war nichts mehr darin, was sie hätte ausspeien können. Matt hob sie den Kopf, als die junge Indianerin vor sie hintrat.
» Alles gut? « , fragte Zena.
Elizabeth zuckte mit den Schultern. Nichts war gut.
» Böse Mann « , sagte Zena. Ihre Stimme klang wütend, und erstaunt blickte Elizabeth zu ihr auf. Zena hatte die Lippen zusammengepresst, ihre Augen glühten vor Hass. » Hat gemacht auch mit mir. « Mit eindringlichen Gesten beschrieb sie es.
Fassungslos starrte Elizabeth die junge Frau an.
» Wer? Der mit dem Bart? «
Ein weiteres Nicken. » Hat Kind gemacht. « Sie deutete auf ihren Leib.
» Er hat dich vergewaltigt, und du warst schwanger davon? Wann war das? «
» Sechs Monde. « Zena deutete auf das Wasser. » Dort bekommen. Drei Tage her. «
» Du meinst, du hast… Und das Kind…? Wo…? «
» Fische fressen « , sagte Zena gleichmütig.
Erschüttert rang Elizabeth nach Worten, doch dann verstummte sie abrupt. Gegen die Sonne hoben sich näher kommende Gestalten ab. Zena wich ein paar Schritte zurück zwischen die Sträucher. Elizabeth sprang von dem Felsen auf, bereit zur Flucht. Doch dann stieß sie erleichtert den angehaltenen Atem aus. Das war Deirdre! Und begleitet wurde sie von Oleg, Jerry, Sid und Edmond.
» Das sind meine Leute « , sagte sie zu Zena, die wachsam herüberspähte, die schmale kleine Gestalt fast ganz von den wilden Hibiskusbüschen verborgen. Ihre dunklen Augen lugten zwischen den Blüten hervor, und über ihrem Kopf erhob sich die Speerspitze. » Du kannst wieder rauskommen. Sie sind hier, um mich zu suchen. «
Zögernd trat Zena zwischen den Büschen hervor.
Weitere Kostenlose Bücher