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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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ein paar Schritte zur Seite und setzte sich in den Sand, während die junge Indianerin zurückkam und auf die Leichen deutete.
    » Wegmachen « , sagte sie mit schwerem Akzent, aber deutlich.
    » Was meinst du? «
    » Wegmachen. « Die Indianerin deutete mit grabenden Bewegungen an, was sie meinte.
    Elizabeth holte tief Luft. Mit aller Willenskraft versuchte sie, sich zu konzentrieren.
    » Du meinst, wir sollen sie vergraben? «
    Die Indianerin nickte.
    Im ersten Moment wollte Elizabeth diesen Plan als Unsinn abtun, schließlich hatten sie in Notwehr gehandelt. Die beiden Kerle waren Vergewaltiger und Mörder und hätten sowieso ihr wohlverdientes Ende am Galgen gefunden. Kein Mensch würde ihr einen Vorwurf machen. Doch dann dachte sie genauer nach. Es würde böses Blut geben, vor allem, wenn herauskam, dass eine Indianerin einen der beiden Männer getötet hatte. Eine ganze Schiffsbesatzung, bestehend aus abgefeimten, gottlosen Halunken könnte in dem Vorfall einen willkommenen Anlass sehen, plündernd und mordend über das nächstbeste Eingeborenendorf herzufallen. Es gab niemanden, der sie daran hindern würde. Dieser merkwürdige Colonel Howard, der mit seinen Soldaten die alte Garnison im Süden bemannt hatte, war ohnehin schlecht auf die Eingeborenen zu sprechen.
    » Diese Wilden sind allesamt heimliche Menschenfresser. Man sollte sie vom Angesicht der Erde tilgen wie Ungeziefer. «
    Das jedenfalls waren seine Worte gewesen, als er unlängst mit ein paar von seinen Männern auf einer Inspektionsrunde ins Dorf gekommen war und sich den dort lebenden Siedlern und Händlern vorgestellt hatte. Er hatte auch Miss Jane seine Aufwartung gemacht und auf ihrer Veranda einen Becher Ale getrunken, während er seine Umgebung mit einem seltsam unbeteiligten Blick gemustert hatte. Elizabeth, die ihn durch das offene Fenster beobachtet hatte, ohne dass er es bemerkte, hatte sofort eine spontane Abneigung gegen ihn gefasst.
    Die junge Indianerin war abwartend stehen geblieben. Ihr Körper war nackt bis auf einen kurzen Lendenschurz aus grober Baumwolle und einen Gürtel aus hellen Muscheln. Dichtes schwarzes Haar fiel über kleine Brüste. Die lange Mähne umrahmte ein rundes, ebenmäßiges Gesicht mit mandelförmigen Augen und einer flachen Nase. Über der Stirn war es kantig abgeschnitten, und als es vom Wind nach hinten geweht wurde, konnte man die eintätowierten Zeichen über ihren Brauen sehen, fein gestanzte blaue Punkte, die zweifellos eine besondere Bedeutung hatten, ähnlich wie die runenartigen Verzierungen auf dem polierten Stein, den sie an einer Lederschnur um den Hals trug.
    Unvermittelt erkannte Elizabeth, wie wenig sie über die Eingeborenen wusste. Sie war nun schon so viele Wochen auf Dominica, doch immer noch hatte sie so gut wie nichts über die Insel und die hier lebenden Menschen in Erfahrung gebracht. Sie wusste nichts über ihre Sprache, den Glauben, die Sitten und Gebräuche. Ob es wirklich stimmte, dass die Eingeborenen Kannibalen waren? Oder handelte es sich nur um gezielt ausgestreute Gerüchte, von Leuten wie Arthur Howard in die Welt gesetzt, um damit die Vertreibung und Ausrottung auf den karibischen Inseln zu rechtfertigen? Wie auch immer, diese junge Frau hatte ihr das Leben gerettet. Elizabeth war ihr zu Dank verpflichtet.
    » Ich heiße Elizabeth. « Sie hob die Hand und legte sie sich auf die Brust. » Lizzie. « Das war kürzer und ließ sich besser aussprechen. » Ich bin Lizzie. Und du? «
    Die junge Frau kopierte ihre Geste. Sie legte sich die Hand auf die Brust und lächelte kurz. Ihre Zähne waren weiß und makellos.
    » Zena. « Ihre Stimme klang ein wenig guttural, aber leicht verständlich. Sie deutete auf Elizabeth und sagte akzentuiert: » Li-zzie. «
    » Genau. « Elizabeth lächelte zögernd. » Sprichst du meine Sprache? «
    » Etwas. Wenig Worte. Französisch mehr. «
    » Wo hast du es gelernt? «
    » Weiße « , kam es knapp zurück. Zena deutete auf die beiden Toten. » Wegmachen. Jetzt. «
    Elizabeth wandte sich erschaudernd zu den Leichen um. Widerwillig betrachtete sie sodann die Umgebung, auf der Suche nach einer Stelle, die sich für ein verstecktes Grab eignete. Zena ging die Sache schneller an. Zwischen den Büschen am Fuße der Felswand begann sie, mit beiden Händen Sand und Geröll wegzuschaufeln. Emsig grub sie tiefer und tiefer und bedeutete Elizabeth mit einer Kopfbewegung, es ihr gleichzutun. Zu zweit hoben sie mit bloßen Händen eine flache Grube aus.

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