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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Richtung Heimat. Tag um Tag hatte Felicity Ausschau gehalten und den Horizont beobachtet. Jedes Mal, wenn sie meinte, dass sich in der Ferne ein Landstrich gegen die endlose See abhob, rannte sie zu John Evers, um sich sein Fernrohr zu borgen. Der Bootsmaat überließ es ihr stets gutmütig und forderte sie auf, es ihm sogleich zu melden, falls sie Land sichtete. Das kam gelegentlich tatsächlich vor, und sie teilte es ihm stets getreulich mit, doch meist waren es zu ihrer Enttäuschung nur bedeutungslose Inseln. Sie wusste, dass sie ihn und Duncan mit ihrer kindlichen Erwartung belustigte, doch das war ihr egal.
    An diesem Morgen war etwas Großes am Horizont aufgetaucht, eine lang gezogene, massive Küstenlinie. Wieder lief sie zu John Evers, der unter dem straff gespannten Segel beim Fockmast stand und die Matrosen beaufsichtigte, und als sie ihn diesmal um das Fernrohr bat, empfing er sie mit einem breiten Grinsen.
    » Ja, junge Lady, Euer Gefühl hat Euch nicht getrogen. Das da drüben ist Portugal. Jetzt kommen wir der Sache wirklich näher. «
    Sie ließ ein befreites Lachen hören und eilte in die Kapitänskajüte, wo Duncan über den großen Tisch gebeugt dastand und nautische Berechnungen vornahm. Er hob den Kopf, als sie hereingestürmt kam, und flüchtig wunderte sie sich, wie er nach all den Wochen auf See noch so ordentlich aussehen konnte. Er rasierte sich jeden Tag, kämmte sorgfältig sein Haar, wechselte mindestens zweimal wöchentlich das Hemd und ließ sich gelegentlich sogar Wasser zum Waschen bringen. Sie selbst fühlte sich nun, da das Ende der Reise näher rückte, wie ein Ferkel in der Suhle. Die Kleidung stinkend und starr vor altem Schweiß, die Röcke von Flecken übersät, dass Haar fettig, die Kopfhaut juckend, die Zähne pelzig. Letzteres fand sie besonders beklagenswert, denn sie hatte wahrlich an alles gedacht beim Packen ihrer Habe, nur den kleinen Beutel mit dem Zahntuch hatte sie vergessen. Anne hatte ihr großmütig die Benutzung ihres Tuchs angeboten, doch davon hatte Felicity keinen Gebrauch gemacht. Anne hatte bereits vor einigen Jahren einen Backenzahn verloren, man sah es, wenn sie lachte. Ein Bader hatte ihn ihr wegen Zahnfäule ziehen müssen, und Felicity sorgte sich, dass sie durch die Benutzung desselben Zahntuchs womöglich ebenfalls von diesem Leiden heimgesucht würde. Duncans Zahntuch hätte sie wohl benutzt, seine Zähne waren, soweit sie es überschauen konnte, vollzählig vorhanden und für einen Mann über dreißig erstaunlich intakt, doch sie scheute sich, ihn zu fragen. So vertraut waren sie nun auch wieder nicht miteinander, und wenngleich Felicity ihn inzwischen gut leiden mochte, war sie dennoch nicht imstande, die Scheu, die sie jedes Mal in seiner Gegenwart empfand, gänzlich zu überwinden. Die Art, wie er an Deck das Kommando ausübte, mit einem einzigen Wink oder einem herrischen Wort ein Dutzend Männer dazu brachte, in schwindelnde Höhen zu klettern oder auf den Knien die Decksplanken zu schrubben, rief immer noch Ehrfurcht in ihr wach. Anders als am Anfang ihrer Bekanntschaft hatte sie keine Angst mehr vor ihm. Sie wusste genau, dass er ihr niemals etwas antun würde, auch wenn er früher als Pirat die schrecklichsten Untaten verübt hatte. Doch schon der Anblick der Pistolen und der schweren Säbel an der Wand seiner Kajüte reichte aus, um ihr einen Schauer über den Rücken zu jagen. Auch wenn seine Haltung noch so entspannt und sein Gesichtsausdruck noch so verbindlich war– sie wusste genau, dass er sich bei Gefahr augenblicklich in einen ganz anderen Menschen verwandeln konnte. In jemanden, der bedenkenlos tötete. Lizzie hatte ihr von dem Überfall erzählt, dem sie und Duncan während des Aufstands um ein Haar zum Opfer gefallen wären. Duncan hatte im Handumdrehen drei der Angreifer niedergemacht, und das nur im Vorbeireiten.
    » Er war schneller als der Blitz « , hatte Lizzie gesagt. » Und ich bin sicher, dass keiner von ihnen mehr aufstand. «
    Felicity fragte sich, wieso sie ausgerechnet jetzt an diese Geschichte denken musste, wo sie doch eigentlich nur Freude verspüren sollte.
    » Draußen kann man schon Europa sehen « , platzte sie heraus.
    Ein amüsiertes Lächeln zuckte um seine Mundwinkel auf.
    » So, kann man das? «
    » Ja. John Evers hat es selbst gesagt. Es ist Portugal, meint er. «
    » Dann sind wir in der korrekten Richtung unterwegs. «
    Sie merkte, dass er sie aufzog. Mit leisem Groll wechselte sie das Thema.
    » Wo

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