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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Männer gab es kaum Frauen auf der Insel, viele waren ausgehungert vor Gier. Zena hatte es am eigenen Leib erlebt. Die hellhaarige Frau musste den beiden wie die Fleisch gewordene Erfüllung all ihrer Wünsche erscheinen, denn sie war schöner als sämtliche anderen weißen Frauen, die Zena bislang zu Gesicht bekommen hatte. Wäre ihre Haut nicht so braun gebrannt, hätte sie ausgesehen wie einer dieser golden strahlenden Engel auf den Bildnissen in dem Gebetbuch, aus dem Pater Raymond ihr einst vorgelesen hatte.
    Bald würde sie nicht mehr wie ein Engel aussehen. Nicht mehr lange, dann wäre sie nur noch blutendes, geschundenes Fleisch. Damals, als der Bärtige über Zena hergefallen war, hatte er sie hinterher einfach liegen lassen. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie umzubringen. Wozu auch? Eine Strafe für die Schändung ihres Leibes musste er nicht erwarten. Es war ihm völlig gleichgültig gewesen, ob sie noch lebte oder tot war. Bei der hellhaarigen Frau würde er sich jedoch vergewissern, dass sie später nicht mehr reden konnte, denn sonst würden die drei Männer, die zusammen mit ihr auf der Insel geblieben waren, grausame Rache an ihm üben. Einer von ihnen war fast so groß wie zwei Männer zusammen und hatte Arme, die so dick waren wie ein Baum. Er würde den Bärtigen zerquetschen wie eine Fliege.
    Zena hockte sich auf die Fersen und spähte durch das Geäst des Strauchs, hinter dem sie sich verborgen hielt. Die Frau war nicht weit von ihr entfernt. Keuchend und mit rudernden Armen schlitterte sie durch den Sand und erreichte die Stelle, an der sie ihre Kleidung abgelegt hatte. Gleich darauf hatten die Männer sie eingeholt, der Bärtige packte sie an der Schulter und riss sie herum. Der andere Mann streckte beide Arme aus, um sie zu fangen. Die Frau versuchte, den beiden auszuweichen, doch es gelang ihr nicht. Zena hörte ihren gellenden Schrei.
    Das Messer! Sie musste irgendwie an ihr Messer kommen! Mit einem wilden Aufschrei entwand Elizabeth sich dem Griff des Mannes. Ihr Hemd zerriss der Länge nach, als sie zur Seite stolperte. Ein zerfetztes Stück Musselin blieb in seiner Faust hängen, während sie vor ihm zurückwich. Der andere hatte nach ihrem Zopf gegriffen und ihn zu fassen bekommen, doch das Haar war nass und schlüpfrig und rutschte ihm durch die Finger, er konnte es nicht festhalten.
    Laut auflachend setzte er ihr nach. Die Männer hatten sie in die Zange genommen, sie kamen von zwei Seiten. Einen Fluchtweg gab es nicht, denn vor ihr lag das Meer, hinter ihr der steile, von Gestrüpp bewachsene Abhang. Aus den Augenwinkeln sah sie den unordentlichen Stoffhaufen im Sand, wo sie ihr Oberkleid und ihr Mieder hingeworfen hatte. Darunter lagen ihre Schuhe und irgendwo dazwischen das Messer, ohne das sie niemals das Haus verließ. Erst gegen Ende der Schwangerschaft hatte sie es abgelegt und nach Duncans Abreise wieder angefangen, es zu tragen. Unter dem Rock, in einem kleinen Futteral am Strumpfband. Genauso, wie Claire Dubois es ihr einst auf ihrer gemeinsamen Überfahrt von Europa nach Barbados gezeigt hatte.
    » Eine Frau sollte sich schützen « , hatte Claire in dem ihr eigenen lakonischen Ton angemerkt. » Wenn sie keinen Ehemann und keinen Leibwächter hat, sollte sie unbedingt ihre eigenen Waffen tragen. Und die sollten möglichst tödlich sein. «
    Der Bärtige brüllte etwas auf Portugiesisch oder Spanisch, Elizabeth konnte es wegen seiner verwaschenen Aussprache nicht richtig einordnen. Er war angetrunken, sie roch den Schnapsdunst in seinem Atem. Und den widerwärtigen Gestank seines Körpers, nach Fisch, Schweiß und Verwesung. Die Weste, die er trug, bestand aus unzureichend gegerbter Tierhaut, die Hose aus fadenscheinigen Lumpen. Der andere Mann roch nicht viel besser, und sein Äußeres war nicht minder abstoßend– bis auf einen zotteligen Haarkranz war er kahl, und sein lückenhaftes Gebiss war so verrottet wie seine Stiefel. Elizabeth hatte die beiden schon vor Tagen in der Siedlung gesehen; sie gehörten zur Mannschaft eines heruntergekommenen Sklavenschiffs. Sie hatte sofort gewusst, was die beiden ihr antun wollten, bereits im Augenblick ihres Auftauchens. Die vor Gier verzerrten Fratzen, das rohe Gelächter, die wilden, von zu viel Rum getrübten Blicke– ein Lidschlag hatte gereicht, ihren eigenen Tod in diesen blutunterlaufenen Augen zu sehen, und ebenso schnell hatte sie sich herumgeworfen, um der Gefahr davonzuschwimmen. Doch sie war zu langsam

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