Wind der Traumzeit (German Edition)
beobachtete ihn und gab Acht, dass er sie nicht in den Mund steckte. Doch so sehr sie sich von den ständig kreisenden Gedanken zu befreien versuchte, so wenig gelang es ihr. Nach einer Weile kehrte sie mit Steven zurück ins Haus. Sie zog eine Küchenschublade auf und entnahm ihr viele kleine Tupperware-Behälter, die ineinander gestapelt waren, und trug sie mit dem Kind nach oben. Sie musste etwas tun. Sie setzte den Kleinen mit all den Plastikdosen auf den Teppich, damit er etwas zu tun hatte, und öffnete dann die Kleiderschränke. Sie wollte sicherheitshalber schon ein paar Sachen zusammenpacken, auch auf die Gefahr hin, dass es gar nicht notwendig war.
Knisternd fraßen sich die Flammen durch den Busch und trieben die Tiere vor sich her. Rote Riesenkängurus flüchteten in weiten Sätzen in die Ebene. Selbst die trägen rundlichen Koalas legten ein erstaunliches Tempo vor, um dem Flammentod zu entkommen. Wombats und andere Höhlenbewohner versuchten sich unter der Erde in Sicherheit zu bringen. Bunt schillernde Papageienschwärme und helle Kakadus flogen kreischend aus dem Qualm in sichere Gefilde. Die Natur nahm ihren Lauf. Zurück blieben scheinbar tote Bäume, deren gerippeartige Äste anklagend in den Himmel wiesen. Trauernd schienen sie sich von der verbrannten schwarzen Erde abwenden zu wollen. Und doch konnte ein einziger starker Regen genügen, und schon in wenigen Tagen würde aus dem verkohlten Schwarz der verbrannten Bäume und Sträucher das erste frische Grün sprießen, das allen Tieren einen neuen Anfang versprechen würde. Samenkapseln seltener Wildblumen, die vielleicht seit Jahren in der Erde geruht hatten, würden erst durch die Hitze des Feuers gesprengt werden und so eine Chance auf die Blüte erhalten. Ihre Blüten wiederum wären eine Verlockung für Schmetterlinge und andere Insekten. Auch Vögel und Eidechsen hätten unter diesen Voraussetzungen einen reich gedeckten Tisch. Nur die Menschen wurden durch die Buschfeuer oft an ihre Grenzen geführt. Zu nah hatten sie ihre Häuser und Siedlungen an die Wildnis gebaut, im Vertrauen darauf, dass nichts Derartiges geschehen würde.
Als Nora am nächsten Morgen erwachte und ihr erster Blick zum Fenster ging, ahnte sie bereits, dass etwas anders war als sonst. Das Licht kam ihr dunkler vor. Leise stand sie auf, um sich draußen umzusehen. Normalerweise liebte sie diese morgendliche Viertelstunde, in der sie ganz allein im Garten oder auf der Veranda dem beginnenden Tag entgegensah. Der melodiöse Gesang der Elstern, das kreischend-muntere Gezwitscher der anderen Vögel, das ihr immer noch so exotisch vorkam und das nur noch dann und wann durch das wilde Gelächter eines Kookaburra übertrumpft wurde, machte ihr immer wieder aufsNeue klar, wie sehr dieser Kontinent sie faszinierte. Auch dass sie mit Tom und den Kindern ganz am Ortsrand wohnte, hatte ihr immer besonders gut gefallen. Der unbefestigte Weg, der von der Hauptstraße aus zu ihrem Haus abzweigte, ging danach einfach ins Outback über – in die schier grenzenlose Weite, die nur den Tieren zu gehören schien.
Als Nora aber an diesem Morgen in den Garten ging, wurde ihr klar, dass sie die Koffer nicht umsonst gepackt hatte. Der Brandgeruch hatte sich deutlich verstärkt, und das Sonnenlicht wurde durch endlose stumpfe Rauchfahnen gedämpft, die sich zunehmend wie gelbgrauer Nebel über den Garten legten und ihm etwas Gespenstisches und Bedrohliches verliehen. Nora wandte sich um und lief schnell ins Haus zurück. In der Küche schaltete sie das Radio ein. Schon nach Sekunden vernahm sie die warnenden Durchsagen. Alle gefährdeten Bezirke und Straßennamen wurden genannt und die Menschen in Alarmbereitschaft versetzt, in absehbarer Zeit ihre Häuser und Wohnungen zu verlassen. Es waren Sammelstellen und Notunterkünfte eingerichtet worden. In Noras Kopf wirbelten viele Gedanken durcheinander. Bis jetzt war ihre Straße nicht genannt worden. Doch wie lange noch? Würden sie das Haus wirklich verlassen müssen? Die immer realer werdende Bedrohung durch das Feuer lähmte Nora einige Minuten und hielt sie davon ab, mit der morgendlichen Frühstücksroutine zu beginnen. Die Normalität des Alltags kam ihr angesichts dieser Gefahr absurd vor. Dann jedoch riss sie sich zusammen und stand auf, um Tom und die Kinder zu wecken.
Mehrere kleine Feuerherde hatten sich etwa fünfunddreißig Kilometer vor Cameron Downs zu einer riesigen Feuerfront vereint, die sich mit Macht vorwärts fraß.
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