Wind der Traumzeit (German Edition)
wieder an sich und hielt sie fest. Tief atmete er durch, bevor er leise zu sprechen begann. »Darling, so darfst du nicht denken. Ja, es ist traurig, dass Niklas’ heile Welt auseinander brechen musste, aber das ist nun einmal passiert. Mehr als jede dritte Ehe wird geschieden. Natürlich ist es besonders schlimm, wenn Kinder betroffen sind. Aber es war Niklas’ Wunsch, bei Max in Deutschland zu bleiben. Er ist doch dort nicht allein. Er hat seinen Vater, der sich um ihn kümmert, seine Großeltern, Freunde … Sicher geht es ihm gut.«
Tom betrachtete Nora, die zusammengesunken neben ihm saß. Ihre Verzweiflung war so offensichtlich, dass er sich innerlich über sich selbst ärgerte. Er hatte nur in der Freude gelebt, dass sie sich für ihn und sein Land entschieden hatte. Alarmiert legte er eine Hand unter ihr Kinn und sah ihr prüfend in die Augen. »Hast du Heimweh?«
Sie erkannte die Angst in seinem Blick und schüttelte langsam den Kopf. Auch wenn sie sich schon öfter nach Deutschland zurückgesehnt hatte, war es doch nicht so, dass sie bereit gewesen wäre, ihr Leben mit Tom und den Kindern hier wieder aufzugeben. Sie liebte das weite, wilde Land, dessen Farbenspiel sie immer wieder begeisterte. Sie mochte auch das kleine Städtchen Cameron Downs, hinter dessen Grenzen das unermesslich weite Outback begann, das sie immer noch in ihren Bann zog unddas ihr von der Geschichte der Aborigines erzählte. Sie schaute Tom an und zwang sich zu einem kläglichen Lächeln. »Nein, ich will nicht zurück nach Deutschland. Aber ich vermisse meinen Sohn.« Sie zögerte und sah wieder auf ihre Hände. »Ich habe oft das Gefühl, ihn für uns geopfert zu haben. Er fehlt mir einfach unsagbar … und ich habe in Deutschland ein solches Chaos hinterlassen, dass mir manchmal ganz elend ist. Ich glaube, auch meine Eltern werden mir nie wirklich verzeihen, was geschehen ist.«
Eigentlich hatte sie Tom mit diesen Gedanken nicht belasten wollen, aber nun waren sie ausgesprochen.
Innerlich beunruhigt versuchte Tom nach außen hin gelassen zu wirken. Und doch befürchtete er zum ersten Mal, dass er zu viel von Nora erwartet hatte. Er hatte sie aufgefordert, ja, sogar gedrängt, in Deutschland alle Brücken hinter sich abzubrechen, um mit ihm gemeinsam einen Neuanfang zu wagen. Ihm war nicht wirklich klar gewesen, in welche Verzweiflung sie ihre Gewissensnöte wegen Niklas getrieben hatten. Irgendwie hatte er angenommen, sie werde sich schon an den Gedanken gewöhnen, dass der Junge bei seinem Vater groß wurde. Irgendwie hatte er geglaubt, dass sie, wenn sie erst einmal hier wäre, nicht mehr so viel darüber nachgrübeln würde. Doch er musste sich eingestehen, dass er sie mit der neuen Familie, die hier entstand, in noch größere Nöte gebracht hatte, denn nun konnte sie weder vor noch zurück.
Tom war aufgestanden und überlegte ein wenig ratlos. Schließlich wandte er sich um.
»Ich habe auch kein Rezept, Nora, das ihn hierher zaubert. Ich wünschte, es gäbe eines, aber wir sollten uns damit trösten, dass es sein Wunsch war, dort zu bleiben.« Tom betrachtete sie nachdenklich. »Lade ihn doch ein, die Ferien hier zu verbringen. Ich weiß zwar, dass es bis dahin noch einige Zeit dauert, aber bis es so weit ist, wird sich unser Leben wieder beruhigt haben, und Niklas wird seine Vorbehalte vielleicht auch vergessen haben und sich auf dich und die Mädchen freuen, was meinst du?« Nora erhob sich nun auch und stellte sich einen Augenblick neben ihn. »Ich weiß, du meinst es gut, aber ich glaube nicht, dass er schon herkommen wird.«
Langsam wandte sie sich ab und stieg die Stufen in den Garten hinunter, um die Gartenberegnung anzustellen.
29
L ustlos stapfte Niklas hinter seinem Vater her, der sicherlich schon den zwanzigsten Baum begutachtet und für nicht annehmbar befunden hatte. Obwohl Max ihn ständig mit einbezog, blieb er einsilbig. Insgeheim fürchtete er sich davor, die Weihnachtstage ohne Marie und seine Mutter zu verleben, und dies zum ersten Mal. Sicher, sowohl sein Vater als auch seine Großeltern hatten sich in der Adventszeit bemüht, alles so normal wie möglich ablaufen zu lassen. Doch gerade dieses krampfhafte Bemühen um Normalität war ihm auf den Wecker gefallen. Außerdem hatte er sich regelrecht darüber gefreut, wie gut es ihm gelungen war, ohne seine Mutter und Marie klarzukommen. Die Weihnachtszeit mit ihrer familiären Besinnlichkeit und Gefühlsduselei machte ihm nun aber erst richtig
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