Wind der Traumzeit (German Edition)
Sohn in der Schule krankgemeldet und sich in der Praxis entschuldigt. Sie war innerlich aufgewühlt und fragte sich, ob ihr Vorgehen richtig war, aber nach einem erneuten Zusammenstoß mit Sam in aller Frühe wollte sie nicht das Risiko eingehen, dass ihr ein Verreisen mit Josh außerhalb der Ferien nicht erlaubt würde. Sie sah auf die Uhr. Es war halb acht. Eigentlich sollte sie keine Zeit verlieren, aber sie war noch immer wie gelähmt.
Nachdem sie Sam im Bad gehört hatte, war sie leise aufgestanden und hatte Kaffee gekocht. Sie war felsenfest davon überzeugt gewesen, dass sie in Ruhe miteinander würden reden können. Doch wieder war es zu einem bösen Streit gekommen, in dessen Verlauf Sam schließlich voller Zorn seine Aktentasche genommen hatte und zur Tür gegangen war. Sie hatte sich ihm in den Weg gestellt und ihm klar machen wollen, dass sie miteinander reden müssten. Doch offensichtlich war er anderer Meinung gewesen. Caroline musste schlucken, als sie sich in Erinnerung rief, wie grob er sie beiseite gestoßen hatte. Sie war mit der Hüfte gegen die Kommode geprallt. »Du machst doch sowieso nur das, was du für richtig hältst!« Das hatte er noch gesagt.
Sie war immer noch verwirrt. Hatte er womöglich Recht? Ihre Hand tastete unwillkürlich über ihren Hüftknochen. Die Stelle schmerzte. Trotz und Widerwillen stiegen in ihr auf. Nein! Er hatte kein Recht, sie so zu behandeln. Nicht in Wut und Rage und auch nicht unter Alkoholeinfluss. Entschlossen drehte siesich um und ging ins Bad. Sie musste hier weg. Und Josh würde sie mitnehmen.
Mit einem unbehaglichen Gefühl dachte sie kurz daran, wie Sam wohl reagieren würde, wenn er feststellte, dass sie fort waren. Konnte es passieren, dass er nochmals die Kontrolle verlor? Dass er sie suchte? Was würde er tun, wenn er sie fand? Caroline beschloss, ihm keine Chance zu lassen, ihnen schnell zu folgen. Sie wollte sich in Ruhe klar werden, wie ihre Zukunft aussehen könnte. Die Aussicht, ihren Bruder schon so bald wiederzusehen, beruhigte sie ein wenig. Mit Tom hatte sie immer reden können.
27
M ax Bergmann stand ein wenig verloren im ehemaligen Zimmer seiner Tochter. Auch wenn er wieder viel arbeitete und oft spät nach Hause zurückkehrte, in den stillen Momenten musste er sich eingestehen, wie sehr sie ihm fehlte. Er vermisste es, ihre zarten Arme um seinen Hals zu spüren oder die Begeisterung ihrer hellen Stimme zu hören, wenn er einmal früher nach Hause gekommen war. Es erfüllte ihn mit Bitterkeit, wenn er daran dachte, dass dies alles nun Tom erlebte. Er trat ans Fenster und sah nachdenklich hinaus. Der Nachmittag ging bereits in den Abend über, und gleich würde es dunkel werden. Sein Schwiegervater brachte für heute die wohl letzte Schubkarre Laub zum Komposthaufen und räumte alles zusammen. Max rieb sich die Schläfen. Er war Noras Eltern dankbar, dass sie sich so um Niklas, den Hund und das Haus kümmerten. Jeden Tag, wenn Nicky mittags aus der Schule kam, erwartete ihn bereits Noras Mutter mit dem Essen. Wie selbstverständlich waren die beiden da und halfen, wo Hilfe nötig war.
»Papa?«
Max drehte sich um. »Ich bin oben, Niklas.« Den polternden Schritten auf der Treppe folgte wenig später sein Sohn. Erstaunt betrat er Maries Zimmer. »Was machst du hier?«
Max seufzte kurz. »Ich hab mich nur mal umgesehen. Und ganz ehrlich – Marie fehlt mir.«
Niklas sah ihn einen Moment unsicher an und versenkte die Hände in den Taschen seiner weiten Baggy-Jeans, sodass diese noch tiefer rutschten. Dann nahm sein Gesicht wieder den verschlossenen Ausdruck an, der sich so oft darauf fand, seit Nora mit Marie fortgegangen war.
»Es geht ihr gut, Papa. Ich hab gestern eine E-Mail von ihr bekommen.«
Max sah überrascht auf. »Ach ja?«
Niklas nickte. »Ja, die Mail wimmelte von Rechtschreibfehlern, aber sie klang fröhlich.«
Max musterte seinen Sohn interessiert. »Vermisst du sie? Und die Kleine?«
Niklas ging mit federnden Schritten zum Fenster und schwang sich mit einer sportlichen Drehung auf die Fensterbank. Er sah trotzig aus. »Ach, was soll das? Kommen sie zurück, wenn ich sage, dass sie mir fehlen? Nee! Also kann ich’s mir auch schenken.«
Max merkte, dass ihn dieses Thema nicht weiterbrachte. Er spürte, dass sich irgendetwas verändern musste. Niklas und er lebten ein merkwürdiges Leben in dem Haus, das einmal ihnen allen ein Zuhause gewesen war. Er klopfte seinem Sohn auf die Schulter. »Ich habe mir am letzten
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