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Wind der Traumzeit (German Edition)

Wind der Traumzeit (German Edition)

Titel: Wind der Traumzeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin Busch
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ewigen Kreislaufs, der zwischen Entstehen und Vergehen abläuft.«
    Er hatte sich erhoben und ging langsam aus dem offenen Gebäude hinaus. Tom war aufgesprungen und hatte sekundenlang gezögert, dann hatte er die indirekte Aufforderung des alten Mannes verstanden und folgte ihm in den Schatten eines riesigen Eukalyptusbaums, wo er sich neben ihn setzte. Eine Weile schwiegen beide, und Marrindi beobachtete insgeheim belustigt die offensichtliche Ratlosigkeit des weißen Freundes.
    Tom sah ihn schließlich an. »Du gibst also einfach auf, Marrindi?«
    Der Alte seufzte – etwa in der Art, in der eine Mutter seufzt, die ihrem Kind zum wiederholten Male etwas klar zu machen versucht. »Es gibt vieles, was du an meiner Kultur nicht verstehst. Umgekehrt gibt es fur mein Volk genauso viele Dinge, die fur uns Rätsel sind. Unsere Kulturen sind so unterschiedlich wie Sonne und Mond, wie Wüste und Meer. In deiner Kultur gibt es beispielsweise eine Schrift, die für euch wichtig ist. Sie sagt euch: ›Macht euch die Erde untertan.‹ Für uns heißt das, ihr wollt die Erde beherrschen, sie formen, sie verändern. Bei uns ist das ganz anders. Unsere Traumzeit-Gesetze befehlen uns, diese Erde zu lieben und dafür zu sorgen, das sie so weit wie möglich in ihrer Ursprünglichkeit bewahrt bleibt. Über unsere Ahnen aus der Traumzeit sind wir unwiderruflich an unser Land gebunden. Wir sind eins mit der Natur. Wenn wir sie zerstören, zerstören wir uns selbst.« Er machte eine Pause und sah in Toms ernstes Gesicht. »Die Ahnen unserer Traumzeit haben alles geschaffen, und als sie verschwanden, hinterließ jeder Einzelne dieser Ahnen an einem bestimmten Ort ein Stück seines Wesens. An der Stelle seines Verschwindens entstand auf diese Weise so etwas wie eine Quelle neuen Lebens und ständiger Energie. Diese Orte betrachten wir als heilige Stätten, die für immer in Ehren gehalten werden müssen, denn die Seele jedes Menschen stammt von einem Schöpferischen Ahnen aus der Traumzeit ab. So wie diese Ahnen schon in der schöpfungsphase die Landschaft prägten und Berge, Flüsse und Täler schufen, so hinterließ der Ahne auch seine ›Prägung‹ im Geist des Menschen.«
    Tom lehnte sich gegen den Baumstamm und ließ die feine rote Erde durch die Finger rieseln. »Aber was hat das mit deiner Gesundheit zu tun?«
    Marrindi lächelte erneut nachsichtig. »Der Tod gehört nun mal zum Leben wie die Geburt. Der Begegnung mit dem Tod können wir nicht aus dem Weg gehen. Er ist wichtig für uns, und wir bereiten uns sorgfältig darauf vor. Alles Irdische muss geregelt sein, damit die Seele ihren Weg finden kann. Uns ist es fremd, den Umgang mit dem Tod zu vermeiden. Ihr Weißen bereitet euch auf berufliche Termine besser vor als auf euren Abschied vom Leben. Beerdigungen sind für euch meist nur eine lästige Pflicht. Vielleicht macht euch das Sterben und Begraben anderer eure eigene Vergänglichkeit zu sehr bewusst. Nein, Tom, ich weiß, dass meine Zeit hier bald abläuft, und ich bin vorbereitet. Mein Wissen liegt nun bei Banggal und wird erhalten bleiben.« Er verstummte und sah nachdenklich vor sich hin. Tom schwieg eigentümlich berührt. Immer hatte er als Arzt das Gefühl, helfen zu müssen, doch hier wurde keine Hilfe gewünscht. Marrindi strahlte über seine ruhige Selbstsicherheit eine solche spirituelle Überlegenheit aus, dass Tom sich klein vorkam. Und er musste den Gedanken des alten Mannes beipflichten. Seine Einschätzung der Weißen zu diesem Thema war ganz richtig gewesen. Gerade er als Arzt hatte den Tod nie einfach akzeptieren können, stand er doch gleichzeitig mit dem endgültigen Ende des Lebens für seine Ohnmacht in beruflicher Hinsicht, ja, vielleicht sogar für berufliches Versagen. Tom atmete schließlich heftig aus.
    »Vielleicht stimmt das alles, was du gesagt hast, Marrindi. Aber es ist schwer für mich, dich gehen zu lassen. Einfach nichts tun zu können. Du bist mein Freund.«
    Um die Augen des alten Mannes gruben sich viele Lachfältchen tief ein, als er Tom ansah. »Das bleiben wir auch, Tom. Freunde.«
    Nora hatte eine dicke Decke über einen der Tische gebreitet und legte nun ein abwaschbares Wachstuch darüber. Desinfektionsspray und Krepptücher standen ebenso bereit wie eine batteriebetriebene Babywaage, deren auf zehn Gramm genaue Display-Anzeige hier draußen im Outback seltsam deplatziert wirkte. Suchend gingen Noras Augen immer wieder zu Tom undMarrindi, die scheinbar bewegungslos unter dem

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