Wind der Traumzeit (German Edition)
Unfassbares, ja, somit auch fast etwas Mystisches. Er stand für den Bund oder das Versprechen, das sich zwei Menschen gegeben hatten, die miteinander alles, was da kommen mochte, gemeinsam erleben und meistern wollten.
Nora drehte den Ring hin und her und war erneut betroffen ob des ganzen Für und Wider dieser unterschiedlichen Betrachtungsweisen. Konnte es irgendwo zwischen all diesen Gedanken ein endgültiges »Richtig« oder »Falsch« im Hinblick auf die unterschiedlichen Welten der Weißen und der Ureinwohner geben? Ihr Beschäftigen mit dieser alten Kultur hatte ihr jedoch eine solche Einsicht und Tiefe offenbart, dass sie in vielen der Traumzeit-Geschichten deutlich wahrnahm, wie sich Poesie und Weisheit vereinigten und immer wieder erkennen ließen, wie sehr sich die Aborigines mit der Erde, der Natur und der Schöpfung auseinander gesetzt und sie respektiert hatten. Nora dachte an Marrindi und seine Leute in der Siedlung. Sie war froh, dass es wenigstens diesen Ureinwohnern gelungen war, sich eine Nische zwischen beiden Kulturen zu sichern. Unbewusst strichen ihre Finger über den Stapel Papier, auf dem sie bereits etliche Geschichten notiert hatte. Sie lächelte. Egal, was daraus werden würde, sie fühlte sich schon jetzt bereichert und war glücklich über das Vertrauen, das ihr in der Siedlung entgegengebracht wurde.
Als Catherine drei Wochen später nach Perth zurückkehrte, hatte sich der normale Familienalltag eingespielt. Nora war ausgeglichen und fühlte sich erholt, denn es hatte ihr gut getan, Zeit für sich und ihr Traumzeit-Geschichten-Projekt gefunden zu haben. Darüber hinaus hatten Catherine und sie sich gut verstanden, und Nora freute sich bereits jetzt auf ein Wiedersehen.
46
E inige Zeit später fuhr Nora eines Nachts aus dem Schlaf hoch und blickte sich einen Moment verwirrt um. Es dauerte ein paar Sekunden, ehe sie feststellte, dass das Babyfon ruhig auf ihrem Nachttisch lag. Die grüne Lampe zeigte an, dass Steven schlief. Sie schwang die Beine aus dem Bett. Es musste Sophie sein, die weinte. Leise tappte sie barfuß zur Tür und warf von dort einen Blick zurück. Tom schlief tief und fest. Im Flur schaltete sie die Deckenbeleuchtung ein und ging in Sophies Zimmer. Die Kleine stand nicht wie sonst, wenn sie schlecht geträumt hatte oder durstig war, in ihrem Bettchen und erwartete ihre Mutter, sondern wimmerte im Schlaf und warf sich unruhig von einer Seite auf die andere.
Besorgt beugte Nora sich über Sophie. Während ihre Hände über Stirn und Kopf strichen, sprach sie beruhigend auf sie ein. Doch das Kind reagierte gar nicht. Erschrocken bemerkte sie, wie heiß der Kopf war. Die Kleine schien zu glühen, und der dünne Schlafanzug klebte ihr am Körper. Als Nora die Decke ganz zurückschlug, begann das Kind zu zittern. Sie überlegte nur kurz. Früher, allein auf sich gestellt, hätte sie bei Niklas und Marie vermutlich ein fiebersenkendes Zäpfchen verabreicht und die Nacht bei dem kranken Kind abgewartet. Jetzt jedoch hatte sie Tom. Es war in diesem Fall eindeutig einfacher, gleich einen Arzt bei Sophie zu wissen. Abgesehen davon, dass er vermutlich ungehalten darüber wäre, wenn sie ihm nicht gleich Bescheid gäbe.
Sie ging ins Schlafzimmer und setzte sich zu Tom auf die Bettkante. Er schlief so entspannt und friedlich mit leicht geöffnetem Mund, dass sie doch noch einen Moment zögerte, ehe sie ihn aufweckte. Dann strich sie über seinen Arm. »Tom? Bitte, wach auf.«
Er blinzelte verwirrt und stützte sich verschlafen auf seinen Ellbogen. »Nora. Was ist denn los?« Sein Blick ging routinemäßig von ihr zu seinem Radiowecker und wieder zurück.
Nora war aufgestanden. »Sophie ist krank. Sie weint im Schlaf, fiebert und wird gar nicht richtig wach.«
Tom schlug die Bettdecke zurück. »Ich komme.« Er sah sich um. »Wo ist denn mein Koffer?«
Nora wandte sich an der Tür noch einmal zu ihm um. »Der ist unten in der Diele. Ich hole ihn.«
Wenig später sah Nora angespannt zu, wie Tom Sophie untersuchte. Sie lag auf einer dicken Decke auf dem Tisch und wirkte plötzlich wieder unglaublich klein, zart und zerbrechlich. Sie weinte. Nora strich ihr eine dunkle gelockte Haarsträhne aus der verschwitzten Stirn. Ihr Innerstes zog sich zusammen. Instinktiv spürte sie, dass ihrer Kleinen etwas Ernsthaftes fehlte. Erschrocken sah sie auf, als Babygeschrei ertönte. »O nein, jetzt auch noch Steven!«
Tom legte sein Stethoskop beiseite und schaute sie an. »Geh nur, ich
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