Wind Der Zeiten
bedeutete Alan mir, rechts neben ihm Platz zu nehmen. Ein Raunen ging durch die Gruppe der nachdrängenden Kirchgänger. Gleich darauf setzten sich Lachlan und Mary zu uns. Der Rest der Gemeinde versammelte sich stehend, und ich war dankbar, als der Priester endlich aus der Dunkelheit erschien und ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte. In seinem Schlepptau hatte er zwei etwa zehnjährige rothaarige Jungen, die einen grob geschneiderten Überwurf über ihrem Hemd trugen und ehrfürchtig, aber auf bloßen Füßen und etwas ungeschickt hinter ihm hertapsten.
Der größere schwenkte ein Gefäß mit Weihrauch. Es war deutlich zu erkennen, dass er alle Disziplin, derer ein so kleiner Kerl fähig war, aufbringen mussten, um die Kette, an der das Gefäß hing, nicht wenigstens einmal über seinem Kopf herumzuschleudern. Als sich unsere Blicke zufällig trafen, bekam er knallrote Ohren und starrte fortan auf den Boden vor seinen Füßen.
Die Gemeinde begann etwas zu singen, das entfernt an einen
lateinischen Text erinnerte. Die Melodie war mir bekannt, verstehen konnte ich allerdings kein Wort. Jahrelange Übung führte dennoch dazu, dass ich fast immer an den richtigen Stellen aufstand oder niederkniete, obwohl ich, wie der Rest der Gemeinde, die meiste Zeit nur ahnte, was dort vorne gesprochen wurde. Alan tat ein Übriges und stupste mich ein paarmal an, wenn ich unkonzentriert war und selbst die wenig subtilen Regieanweisungen des Priesters übersah.
Der Mann hielt tatsächlich nahezu den gesamten Gottesdienst in lateinischer Sprache ab, und die paar englischen Bemerkungen über das Fegefeuer, das angesichts der geplanten Festivitäten zur morgigen Mittsommernacht seiner Meinung nach besonders hell lodern würde, halfen den Gläubigen mit Sicherheit auch nicht weiter. Doch das störte offenbar niemanden. Mit verzücktem Gesichtsausdruck hingen besonders die Frauen an seinen Lippen.
Ihre Begeisterung konnte ich nicht teilen und hatte deshalb im Verlauf des Gottesdienstes reichlich Gelegenheit, mich in der kleinen Kirche umzuschauen. Draußen schien die Sonne, doch durch die drei schmalen Fenster an jeder Längsseite des Hauptraums fiel nur wenig Licht. Während wir weitgehend im Dunkeln saßen beziehungsweise standen, wurde der Altar von zwei fünfarmigen Leuchtern erhellt, die das silberne Kreuz in der Mitte geheimnisvoll funkeln ließen. Doch das war noch nicht alles. In der Apsis, in einigem Abstand hinter dem Altar, befand sich weit oben ein rundes Fenster, wie ich es aus vielen Kirchen kannte. An den Seitenwänden rechts und links davon waren weitere Fenster im romanischen Stil eingebaut. Die farbigen Glasornamente mussten ein Vermögen gekostet haben. Welch ungewöhnliche Pracht in diesem abgelegenen schottischen Tal.
»Amen«, schmetterte die Gemeinde, und im selben Moment brachen die Strahlen der Sonne durch das südliche Fenster und hüllten das Kreuz auf dem Altar in einen Kranz aus überirdischem Licht.
»Beeindruckend«, flüsterte ich ergriffen, und Alan beugte sich zu mir hinab: »Nicht wahr? Das ist der eigentliche Grund, aus dem ich überhaupt noch hierherkomme!«
Gemeinsam genossen wir das Farbenspiel, bis uns der Priester einen grimmigen Blick zuwarf und mir klar wurde, dass er darauf wartete, uns die heilige Kommunion zu erteilen. Rasch knieten wir vor ihm nieder.
Nach dem Gottesdienst verließ ich an Alans Seite, wiederum allen anderen voran, die Kirche. Lachlan und Mary gesellten sich zu uns, und ich winkte zu Mòrag und ihrer Familie hinüber, die zwischen den Dorfbewohnern standen.
Später flüsterte sie mir zu, der Priester habe sie aufgefordert, gemeinsam mit Duncan zu ihm zu kommen, um das Traugespräch zu führen. »Was weiß der schon von der Ehe?«, fragte sie und tippte sich an die Stirn.
Danach verlor ich meine Freundin allerdings aus den Augen, zu viele MacCoinnaichs scharrten sich neugierig um uns, während Alan noch einmal eine Einladung für die Mittsommerfeierlichkeiten aussprach. Angus tauchte an seiner Seite auf und rief: »Wie ihr wisst, feiern wir morgen auch die Hochzeit meiner Tochter Mòrag, und ihr seid alle eingeladen.« Hier und da klatschte jemand oder stieß einen schrillen Pfiff aus. »Ich danke dem Gleanngrianach , dass er sein Heim, den Stammsitz der MacCoinnaichs, dafür zur Verfügung stellt. Es ist eine große Ehre. Aber lasst uns auch morgen nicht vergessen, dass unsere Verwandten in anderen Tälern überfallen wurden und man einige brutal ermordet hat. Ich
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