Wind Der Zeiten
möchte, dann wird sie bald feststellen, dass ihr zukünftiger Mann kein Fest im Umkreis von mindestens zwei Tagesritten auslässt.«
»Bitte entschuldige die Verspätung.«
Mary sprang bei meinen Worten erschrocken auf, mit etwas schlechtem Gewissen schaute ich auf die Stickerei in ihren Händen. Sie hatte sich bestimmt gelangweilt, so allein. Ich drehte mich zu dem Wachmann in der Halle um und bat ihn: »Können wir Tee bekommen?«
Er lächelte und zeigte dabei eine beeindruckende Zahnlücke. » Aye , Mädchen.«
Wenig später wurde uns ein kleiner Imbiss serviert. Auch dieses Mal bewunderte ich die Eleganz, mit der Mary den Tee zubereitete, und sagte ihr das auch.
Sie errötete bescheiden. »Ich habe ja nichts anderes gelernt. «
»So ganz kann das nicht stimmen.« Ich zeigte auf ihre Handarbeit, die so sauber und fein war, dass selbst die Nonnen in meiner Schule beeindruckt gewesen wären, und die waren europaweit für ihr handwerkliches Geschick bekannt, denn sie restaurierten meisterhaft alte Altartücher und andere Textilien, die im Laufe der Jahrhunderte oft so mürbe geworden waren, dass sie einem schier in der Hand zerfielen. Mir hatte man nicht einmal erlaubt, mich in der Nähe dieser Kostbarkeiten aufzuhalten.
Als ich jünger war, hatte die Mutter Oberin immer fassungslos auf die Risse und Löcher in meiner Kleidung geschaut. Alle
anderen Mädchen sahen adrett aus, nur ich konnte es nicht lassen und musste auch in meinem guten Sonntagskleid auf einen Baum steigen, wenn es dort oben etwas zu bewundern gab oder wenn mein beste Freundin schon in den Zweigen schaukelte und mich mit einem schrillen Pfiff zu sich hinauflockte. Das war natürlich lange bevor ich diese unselige Neigung entwickelt hatte, ständig Treppen hinunter- oder in Wasserläufe hineinzufallen.
»Darf ich dich etwas fragen?«, unterbrach Mary meine Erinnerungen.
»Natürlich. Was bedrückt dich?«
Sie seufzte. »Glaubst du, die Menschen akzeptierten mich eher, wenn ich mich so kleiden würde wie sie?« Wie immer verriet meine Miene mich, und sie fügte eilig hinzu: »Bei dir scheint das zu funktionieren.«
»Nicht dein Aussehen ist das Problem …« Ich wusste nicht, wie ich es diplomatischer sagen sollte, und sprach schnell weiter. »Du erinnerst dich sicher nicht daran, aber am Tag deiner Ankunft war ich in eurem Zimmer. Ihr habt mich ignoriert, wie man es bei dir zu Hause mit Dienstboten vermutlich tut. Aber hier ist das anders. Ein Clanoberhaupt wird von seinen Gefolgsleuten geachtet, und Alan hat als Baron Kensary weitreichende Rechte. Er kann sogar ein Todesurteil verhängen, wenn er es für notwendig hält. Aber er hat auch eine große Verantwortung für jedes einzelne Familienmitglied. Dabei ist völlig unerheblich, ob derjenige seinen Namen trägt oder nicht. Und wie Familie werden die Menschen auch behandelt. Respektiert, egal, an welchem Platz der Gemeinschaft sie ihre Arbeit verrichten. Das ist zugegebenermaßen sogar hier im Hochland nicht mehr selbstverständlich, war es vielleicht noch nie. Aber Alan und, wie ich inzwischen weiß, auch
Lachlan handeln danach. Mancher mag das distanzlos finden, aber ich nenne es Verantwortung übernehmen.« Nach dieser Rede hätte ich mich besser fühlen müssen, stattdessen kam es mir vor, als hätte ich gerade ein intaktes Weltbild zerstört.
Mary saß mit leicht geöffneten Lippen da, als habe es ihr die Sprache verschlagen. Dann räusperte sie sich. »Ich muss ihre Sprache lernen.«
Offensichtlich hatte ich sie falsch eingeschätzt. Das Mädchen war anpassungsfähig. »Wenn du willst, helfe ich dir dabei. Und was deine Klamotten betrifft, findet sich bestimmt etwas, das du anziehen kannst.«
»Klamotten?«
Ich zeigte auf ihr Kleid.
»Ach so!«
Ich konnte sehen, dass sie bereits versuchte, sich dieses neue Wort einzuprägen. Wahrscheinlich hielt sie es für Gälisch.
»Es wäre schön, wenn du mir helfen könntest.« Sie klang dabei ein wenig verloren. Das war die Gelegenheit, Mòrags Einladung zu überbringen.
»Dann komm doch am besten gleich mit. Es gibt hier so einen seltsamen Brauch, dass der Braut am Vorabend der Hochzeit die Füße gewaschen werden, und als ihre Brautjungfer muss ich dabei sein.«
»Das macht man bei uns auch.« Mary schien sich zu freuen, wenigstens etwas Bekanntes zu hören. »Du meinst, sie hat nichts dagegen, wenn ich dabei bin?«
»Auf keinen Fall. Warte, ich habe eine Idee. Ich kann dir mein Arisaid leihen, dann fällt dein Kleid nicht
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