Wind Der Zeiten
flüsterte er und deutete mit dem Kinn in Marys Richtung, die Lachlan soeben mit einem verzückten Lächeln bedachte, das er mindestens ebenso verliebt erwiderte. Dann runzelte er in komischer Verzweiflung die Stirn. »Sieht man uns etwa auch so deutlich an, was wir füreinander empfinden?«
»Aber nein, die Leute haben keine Ahnung.« Ich konnte mir ein breites Grinsen nicht verkneifen und erntete dafür einen Klaps auf dem Po.
Nachdem Alan seine Runde gemacht und mit vielen Pächtern
aus dem Tal ein persönliches Wort gewechselt hatte, sagte er zu Lachlan: »Bleib du noch ein wenig hier und sorge dafür, dass Mary auf dem Heimweg nichts geschieht. Mehr aber nicht, hörst du!«
Lachlan verbeugte sich tief. »Jawohl, großer Gleanngrianach , wie Ihr wünscht«, fügte dann aber versöhnlicher hinzu: »Was denkst denn du? Verschwindet schon, ihr zwei.«
Wir ließen uns nicht lange bitten und spazierten auf dem vom fast vollen Mond hell erleuchteten Weg zurück zum Castle. So richtig dunkel war der Nachthimmel allerdings immer noch nicht, und die letzten Spuren eines herrlichen Sonnenuntergangs hingen in den langgestreckten Wolkenfetzen, die vom Meer über die Berge hereinkamen. Morgen, so hoffte ich, würde nicht nur meteorologisch gesehen ein schöner Tag werden.
Alan war schon lange fort, als ich vom Klopfen an meiner Tür erwachte. Eines der Mädchen, die ich aus der Küche kannte, steckte ihren Kopf hindurch: »Ich soll dir von der Köchin ausrichten, Frühstück gibt’s heute im neuen Haus.«
Erschrocken sprang ich aus dem Bett. »Habe ich verschlafen? «
»Nay, es ist noch Zeit, bis Mòrag und ihre Cousine ins Dorf aufbrechen.« Nachdem ich meine Morgentoilette beendet hatte, half sie mit beim Ankleiden.
Auf dem Weg zum Speisezimmer, wo ich das Frühstück vermutete, musste ich durch die Halle hindurch und hatte dort Gelegenheit, mich in den großen Spiegeln zu betrachten. Wie Mòrag bei der Auswahl des Stoffes vorausgesehen hatte, stand mir das dunkle Rot ganz ausgezeichnet. Die Beschreibung von Schneewittchen kam mir in den Sinn. Rot wie Blut,
das Hemd weiß wie Schnee und die Haare schwarz wie Ebenholz. Draußen in der Sonne würde man sehen, dass rote Lichter in meinen dunklen Haaren schimmerten, aber hier fiel das Morgenlicht weich durch die Fenster und schaffte eine perfekte Illusion.
Die Schneiderin hatte sich selbst übertroffen, und allmählich verstand ich, warum niemand ihren nichtsnutzigen Sohn verbannen wollte. Sie hing so sehr an ihm, dass sie womöglich mit ihm gegangen wäre, und das hätte wirklich einen großen Verlust bedeutet. Zum einen arbeiteten sie und ihre Hilfskräfte ungeheuer schnell, zum anderen hatte sie einen untrüglichen Blick für Proportionen. Meinen Gürtel, mit dem ich im Bedarfsfalle das Arisaid , das große Tuch, in der Taille befestigte, hatte ich nach der Vergiftung ein Loch enger schnallen müssen, doch war das heute kein Nachteil. Der Rock war, die elegante Mode der Salons imitierend, vorne geteilt, und der Farbton des ersten Unterrocks kehrte im Mieder in Form von schmalen Paspeln entlang der Nähte wieder. Ich drehte und wendete mich und konnte mich gar nicht sattsehen an dem Schwung des weiten Saums.
»Der Spiegel wird noch zerspringen, Mädchen!« Hinter mir erklang die belustigte Stimme von einem der Männer, die hier häufiger Wache hielten.
Verlegen schaute ich mich um. Sein anerkennender Blick zeigte mir, dass ihm gefiel, was er da sah.
»Das wollen wir ja nicht«, lachte ich und ging durch die hohe Tür zum Speiseraum, die er mir galant aufhielt.
Mary stand auf, um mich zu begrüßen. »Du siehst entzückend aus.«
Dieses Kompliment konnte ich zurückgeben. Sie trug ihre neue Hochlandtracht mit der gleichen selbstverständlichen
Eleganz wie zuvor die kostbaren Seidenroben. Ihr blondes Haar war im Nacken zu einem lockeren Knoten gedreht, doch einzelne Strähnen hatten sich bereits befreit. Kein Wunder, ebenso wie ich hatte sie heute niemanden, der ihr bei einer komplizierteren Frisur helfen konnte.
Kaum hatte ich die letzten Krümel meines Frühstücks mit etwas Molke heruntergespült, ging die Tür auf, und Lachlan kam herein. Als wir uns erhoben, weil wir mit Recht vermuteten, dass es nun Zeit zum Aufbruch war, blieb er wie angewurzelt stehen. Allerdings war es nicht meine betörende Erscheinung, die ihn erstarren ließ. »Mary«, würgte er schließlich heraus, und es sprach für ihre Naivität, dass sie bang fragte: »Ist etwas nicht in
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