Wind Der Zeiten
Mòrag mit dem Ellbogen an, weil sie kicherte. Die Frauen hatten inzwischen die Stufen über unseren Köpfen erreicht.
»Ohne dich wäre ich selbstverständlich völlig verloren, liebste Anabelle.« Mary klang nicht ganz aufrichtig. Fast tat sie mir leid, ständig ihre nörgelnde Gesellschafterin ertragen zu müssen, als sie fortfuhr: »Stell dir vor, der Baron hatte die Frechheit, mir zu sagen, wenn ich mich langweile, dann sollte ich doch etwas für meinen Verstand tun und ein Buch lesen.«
Gut, sie war wirklich eine dumme Gans und hatte mein Mitgefühl nicht verdient. Kaum waren ihre Schritte verklungen, verließen wir unser Versteck. Mòrag begleitete mich in mein Zimmer, um das Feuer zu schüren, damit ich meine Haare trocknen konnte, und versprach für den Abend eine Überraschung. Sie würde später kommen und mich abholen.
6
Cèilidh
D ie Zeit bis zu Mòrags Rückkehr verbrachte ich träumend am offenen Fenster. Ich kam mir ein wenig nutzlos vor. Den Frauen durfte ich nicht helfen, und, ehrlich gesagt, war ich so ganz unglücklich darüber eigentlich nicht, denn ihre Arbeit war schwer und anstrengend. Die Gesellschaft der Ladys war überhaupt nicht nach meinem Geschmack. Aber ich bezweifelte ohnehin, dass sie mich in ihrer Nähe haben wollten. Alan schien sehr beschäftigt zu sein – so beschäftigt, dass er auch für seine Braut keine Zeit hatte, dachte ich schadenfroh.
Natürlich konnte ich meine Tage mit Lesen verbringen oder untätig herumsitzen und hoffen, dass sich dieser störrische Highlander bald an die seltsamen Umstände erinnerte, die uns hierhergebracht hatten und dafür sorgte, dass ich in mein Leben zurückkehren konnte. Aber bis es so weit war, sollte ich mich an meinen Beruf erinnern und alles aufschreiben, was hier geschah. Obwohl mir bestimmt zu Hause niemand glauben würde, lieferten meine Erlebnisse doch eine wunderbare Basis für zahllose Geschichten. Und als Augenzeugin brauchte ich nicht einmal dafür zu recherchieren. Gerade als ich den Entschluss gefasst hatte, ab sofort Tagebuch zu schreiben, stürmte Mòrag durch die Tür und warf sie vehement hinter sich ins Schloss.
Sie kochte vor Wut. »Die verdammten Campbells. Diese
Anabelle schickt uns den ganzen Tag durch die Gegend: Bring mir dies, hol mir das! Es ist zu warm, es zieht … Und Lachlan führt sich auf wie King George persönlich. Gälisch sollen wir nicht sprechen, knicksen und die Türen leise schließen, weil Lady Mary Kopfschmerzen bekommt. Die machen mich noch wahnsinnig.«
»Und was sagt dein Chieftain dazu?«
»Der? Der lässt sich vorsichtshalber nirgends blicken. Und wenn er doch mal zu sehen ist, verbreitet er eine teuflische Stimmung und säuft den Whisky, als wäre es Wasser. Ich kann es ihm nicht verdenken, so eine würde ich auch nicht heiraten wollen«, schnaufte sie und schaute mich dann genauer an. »Das Häubchen brauchst du nicht zu tragen. Du bist ja noch nicht verheiratet – oder doch?«
»Glaube mir«, sagte ich, »wäre ich es, wüsste ich das ganz sicher. Ich habe zwar keine Ahnung, warum ich aus Irland hierhergereist bin oder mit wem, aber einen Ehemann vergisst man nicht ohne weiteres«, schwindelte ich, und es tat mir leid, meine neue Freundin belügen zu müssen; das war überhaupt nicht meine Art. Hätte sich Alan nicht eine andere Story ausdenken können? Doch ich wollte nicht ungerecht sein – immerhin verhalf mir seine Lüge zu einem recht angenehmen Leben.
»Du hast Recht, ich würde Duncan nie vergessen, und wenn ich noch so oft auf den Kopf gefallen wäre.« Sie warf einen kritischen Blick auf meine Frisur, die ich mit Hilfe des Häubchens zu bändigen versucht hatte. Als sie es mir abnahm, glitten die dicken Strähnen wie träge Schlangen über meine Schultern. Fassungslos sah sie dabei zu, dann zuckten ihre Mundwinkel, und schon lagen wir beide auf dem Bett und lachten, bis uns die Bäuche wehtaten.
»Warte, ich habe eine Idee.« Sie versuchte ein ernstes Gesicht zu machen und setzte sich auf. Dann nahm sie zwei vordere Strähnen und flocht diese am Hinterkopf zu einem lockeren Zopf, den sie mit Nadeln aus ihrer eigenen Frisur zusätzlich feststeckte. »Jetzt kannst du deine schönen Haare offen tragen, und sie hängen dir trotzdem nicht ins Gesicht. Wie schade, dass sie vorne so fransig geschnitten sind.«
Nur gut, dass der Friseur sie nicht hören konnte. Ihn hätte glatt der Schlag getroffen. Ich hatte in Glasgow ein Vermögen für diese aktuelle Coiffure ausgegeben, in
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