Wind Der Zeiten
Wenn ich mich recht erinnerte, waren das Vorboten eines weiteren schönen Sommertags.
»Morgen wird es Regen geben.« Ein Mann setzte sich neben mich und hob zum Gruß seinen Becher. Er war groß und
glattrasiert mit kurzgeschnittenem Haar, in dem schon einige graue Strähnen leuchteten. Ich schätzte ihn auf Mitte dreißig. In seinem Gürtel steckten zwei Pistolen und ein Dolch, was ihm ein gefährliches Aussehen verlieh. Wie die meisten hier trug auch er die typische Hochlandkleidung. Nur wenige Männer hatte ich bisher in Hosen gesehen, und bei den sommerlichen Temperaturen schien mir dieses gewickelte Plaid auch höchsten Tragekomfort zu haben.
Inzwischen blähte aber eine leichte Brise den Kilt des Mannes neben mir, und ich war froh, dass ich daran gedacht hatte, mein neues Wolltuch mitzunehmen. Es war ganz weich und warm, als ich es fester um die Schultern zog. Immerhin, dank des Windes gab es keine Mücken.
»Dir wird bald warm werden«, lachte der Fremde und goss etwas Whisky in meinen Becher. Offenbar waren wir nicht die Einzigen, die Angus’ Vorrat entdeckt hatten und schamlos plünderten. Dabei stellte er sich als James MacCoinnaich von Balgy und – wie sollte es anders sein – als Cousin des Gleanngrianach vor.
Etwas verlegen erklärte ich ihm, ebenfalls eine Verwandte zu sein. »Dann bist du die irische Cousine, die Alan Dubh vor die Füße gefallen ist?« Neugierig schaute er mich an.
»So kann man das nicht sagen …«, hub ich zu einer Erklärung an, als eine Fiedel zu spielen begann. Ich klappte den Mund wieder zu und lauschte der Musik. Sollte er doch denken, was er wollte.
Maggie MacRaths Gesang bezauberte alle Anwesenden im Nu, und bald hielt die Highlander nichts mehr – sie klatschten und sangen zu den Liedern, die sie mit klarer, heller Stimme vortrug. Später kam noch ein Flötenspieler hinzu, und einige Paare begannen, sich zu den Melodien zu drehen.
»Mylady?« James MacCoinnaich verbeugte sich vor mir.
Mòrag schaute ihn erstaunt an, dann begann sie zu kichern. Das Mädel hatte eindeutig einen Schwips. »Geh schon, Joanna.«
Zögernd folgte ich der Einladung, und bald wurde ich, wie die anderen Frauen, von Kilt tragenden Männern hin und her geschwenkt. James hatte Recht, längst war mir nicht mehr kalt. Ziemlich atemlos ließ ich mich schließlich auf eine Bank fallen.
James war sofort an meiner Seite. »Ich hole uns einen Drink.« Seine Augen blitzen, und mit einem Lächeln ging er ins Haus, um den Whiskykrug erneut aufzufüllen. Als ich mich nach meinem Tuch umsah, entdeckte ich am Waldrand einen Schatten. Alan stand dort und sah zu uns herüber. Seltsame Lichter flackerten in seinen Augen. Wahrscheinlich die Reflexion der Feuer, die um den Festplatz herum brannten.
Gerade wollte ich ihn herbeiwinken, da legte mir James mein Plaid, das auf den Boden gerutscht sein musste, um die Schultern. »Die Nacht ist kühler, als man denkt«, sagte er und bückte sich dann nach dem Krug, um unsere Becher zu füllen. Ich schaute noch einmal zum Wald, doch da stand niemand. Vielleicht hatte ich mich geirrt.
Gleich darauf gesellten sich auch Mòrag, Duncan und ein paar andere junge Leute zu uns. Atemlos und durstig vom Tanz griffen sie nach ihren Bechern, und bald machte ein Alekrug erneut die Runde. Die Männer unterhielten uns mit gruseligen Geschichten über Feen und gefährliche Berggeister, die immer aberwitziger wurden, je mehr Whisky oder Ale sie tranken. Das Feuer war inzwischen heruntergebrannt, und viele Leute machten sich allmählich auf den Heimweg.
James bot an, mich zum Herrenhaus zurückzubegleiten.
Zwei Mädchen, die auch dort in den Dachkammern schliefen, wenn es für ihren Weg ins Dorf zu spät geworden war, wollten sich uns anschließen. Also verabschiedete ich mich von Mòrag, und wir brachen zu viert auf. In der kühlen Nachtluft fern des Feuers merkte ich, wie sehr der Whisky mir zu Kopf gestiegen war. Etwas zerrte an meinem Rock. Als ich mich danach umsah, blickte ich in ein violettes Augenpaar. Sofort lief mir ein frostiger Schauer den Rücken hinunter und setzte sich an dieser besonderen Stelle zwischen den Schulterblättern fest, die mich manchmal durch ein unangenehmes Prickeln vor nahenden Gefahren warnte. Jemand geht über dein Grab , hatte Großmutter gesagt, als ich ihr von dem merkwürdigen Gefühl erzählte.
Allerdings blieb mir der Schreckensschrei im Hals stecken, als das Ungeheuer auf mich zukam. Fast hätte ich das Gleichgewicht verloren, doch
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