Wind & Der zweite Versuch
mehr zu sehen als der Betonboden einer leeren Lagerhalle. Eddie konnte nicht anders, als auf die Knie gehen, um nach dem Deckel zu suchen, die Tarnung war so perfekt, daß er erst beim dritten oder vierten Tasten das kühle Metall unter seinen Fingerkuppen spürte, und noch während er die Hand darauf hielt, schien es sich zu erwärmen. Paßte sich der Temperatur der Umgebung an. Verdammte Scheiße. »Frisch«, sagte Neonbaby und lachte. Eine Tür in der Seitenwand der Lagerhalle öffnete sich, und zwei Frauen kamen herein, schwarz und braunhaarig, in grauen Overalls, mit einem auf der Brust aufgestickten Logo, das aus der Nähe wie ein sich entrollendes Blatt aussah. Die Overalls machten den Eindruck, als seien sie aus organisch angebautem Hanf handgewebt, der bei Vollmond geerntet worden war. Das Blattlogo hatte einen Zusatz, den Eddie erst beim zweiten Hinsehen erkannte: im geometrischen Schwerpunkt des Logos, dort wo die Blattlinien sich trafen, saß eine sehr entschlossen aussehende geballte Faust. Die eine der Frauen sagte mit einem bezaubernden Lächeln, Grübchen rechts und links inklusive:
»Hallo!«
»Hallo«, antwortete Neons Gruppe. Es folgte ein leicht peinliches Schweigen. Die Halle war kühl. Die Brünette meinte dann:
»Willkommen im Alles-wird-gut-Bolo.«
»Danke schön«, sagte Neon, und das klang überraschend ironisch.
Die beiden Frauen gingen darüber hinweg, die Brünette fragte Eddie: »Was ist mit deinem Auge passiert? Sieht übel aus.« Eddie antwortete: »Kosmischer Steinschlag.« Alle lachten, nur Neon nicht, sein Grinsen hätte einem Hai alle Ehre gemacht, und da fürchtete sich Eddie zum ersten Mal vor ihm. »Gehen wir«, sagten die Frauen, und sie verließen die Halle. Während sie gingen, versuchte die Schwarzhaarige Eddie und Tina ein bißchen zu missionieren. Alles-wird-gut wurde dann und dann gegründet, hat so und soviel Mitglieder, ist ein voll anerkanntes Bolo nach deutschem Recht, macht dies und jenes. Sie kam nicht weit damit. Als sie gerade dabei war, den beiden die Vorzüge eines Lebens gerade hier zu schildern, sagte Neon heiter und gelassen: »Halt’s Maul.« Die Schwarzhaarige drehte sich um wie der Blitz, Sportlerreflexe auch in ihren Muskeln, und die Gruppe kam abrupt zum Stehen. Eddie konnte sie ihren Schwerpunkt tieferlegen sehen, wie eine Judoka, sie fragte: »Wie bitte?« Neon schien seinen Körper teilweise umgeschmolzen zu haben. Sein Gesicht wirkte noch immer gelassen und freundlich, er lächelte, aber er stand jetzt so kampfbereit da wie nur möglich, Bilderbuchhaltung, ein Schwarzgürtel von den Spitzen seiner Haare bis zu den Füßen, seine Tätowierungen leuchteten sogar im Tageslicht dieses offenen Innenhofs. Die Schwarzhaarige machte einen Schritt auf Neon zu, der nicht einen Zentimeter zurückwich, dann schnaubte sie verächtlich aus, sagte: »Paß bloß auf, Drahtkopf!«, drehte ihm den Rücken zu und lief weiter. Neon schien eine Sekunde zu überlegen, ob er ihr das Kreuz brechen sollte, dann ließ er es bleiben und lief brav hinterdrein, lächelnd. Tina sah Eddie fragend an, und Eddie schüttelte nur minimal den Kopf. Nachdem sie den Innenhof überquert hatten, traten sie in das Hauptgebäude des Bolos ein. Scheinbar hatte Rudolf Steiner die Innenarchitektur besorgt. Kaum ein rechter Winkel, Pastellfarben überall, Harmonie und Ökologie. Man sah kaum Männer, und Eddie fragte sich, ob die Einladung der Schwarzhaarigen vorhin auch ihm oder nur Tina gegolten hatte. Auch hier noch Spuren von Verwüstung. Eddie fragte: »Besuch gehabt?« Die Brünette lachte und antwortete: »Jo. Bekannte.« Von dem Hauptgebäude des Bolos, das als eine Art Verwaltungszentrale zu fungieren schien (überall Frauen in grauen Overalls mit kleinen beschreibbaren Computerbrettern in der Hand), gingen andere Trakte strahlenförmig ab, Neons Gruppe und die beiden Frauen kamen schließlich in einem Gebäude an, das als eine Art Manufaktur zu dienen schien, Leute bei der Arbeit, beim Schweißen, Löten, Schreinern, hier gab es auch Männer, die dieselbe Art von Computerbrettern herumtrugen, wie die Frauen im Verwaltungstrakt. In einer der Teilwerkstätten wurde an Windrädern gearbeitet, Eddie blieb stehen und sah sich kurz um. Neon wollte ihm mit einem Schubs in die Schulter vorwärtstreiben, aber Eddie sah den Stoß kommen und ließ in ins Lehre gehen. Neon stolperte nicht einmal, es war, als hätte er die Kraft zu dem Schubs nur aus dem Arm genommen, und weil er nicht
Weitere Kostenlose Bücher