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Wind & Der zweite Versuch

Wind & Der zweite Versuch

Titel: Wind & Der zweite Versuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Pilotenausrüstung war aus leichten und dennoch stabilen Werkstoffen hergestellt, in monatelanger Arbeit zusammengekauft, getauscht, auf Schrotthalden zusammengesucht, und wenn es eben nicht anders ging, nun ja, auf Dauer entliehen. Wie zum Beispiel die Nachtsichtgeräte, die er und Fifi zwei besoffenen Gendarmen in einer Kneipe bei Sacre-Coeur abgenommen hatten. Eine Hand patschte vor seine Augen, ein starker Arm riß ihn um, und jemand legte sich mit vollem Gewicht auf ihn, so daß er sich nicht mehr bewegen konnte.
    »Achtung, Polizei«, sagte eine Stimme an seinem rechten Ohr fast zärtlich. »Sie sind verhaftet.«
    Pierre erholte sich allmählich von seinem Schrecken.
    »Fifi, du Arschloch. Kannst du nicht einfach hallo sagen, wie alle anderen normalen Leute. Geh von mir runter.«
    Er hatte diese Art von Begrüßung durch seinen Freund schon mehrfach erlebt und haßte sie immer noch. Fifi gehorchte, sprang auf und zog dabei Pierre mit hoch, als sei er ein zu Boden gefallenes Spielzeug. Fifi machte seit Jahren Kampfsport. Im Halbdunkel sah Pierre ihn grinsen. Wolken zogen am Mond vorüber, mal war es hell, mal konnte man die Hand vor Augen nicht sehen.
    »Hast du alles mitgebracht?«
    »Aber sicher doch, mein Dickerchen.« Er zog die Nachtsichtgeräte aus der Tasche und setzte sich eines davon lässig auf den Kopf.
    »Nenn mich nicht Dickerchen. Wir müssen los, wenn wir nicht zu spät kommen wollen.«
    »Ich habe auch noch was anderes mitgebracht«, sagte Fifi und zog eine längliche Struktur aus seiner Jacke, an der auf seinen Knopfdruck hin eine blinkende rote Diode aufflackerte. Erst auf den zweiten Blick erkannte Pierre in dem Gegenstand eine Schußwaffe, genauer gesagt eine Beretta Pro 9, die Standardwaffe der Haupstadtgendarmerie.
    »Bist du verrückt?« zischte er Fifi an. »Wenn sie uns damit erwischen, sind wir erledigt. Wie oft habe ich dir schon …«
    »Falsch, Dickerchen«, fiel ihm Fifi ins Wort. »Wir sind erledigt, wenn sie uns überhaupt erwischen. Ich jedenfalls halte uns damit die Bullen vom Leib, so lange ich kann. Keine Lust auf Erziehungslager. Komm jetzt.«
    Da war eine Schärfe in seiner Stimme, die Pierre keinen Spaß machte. Aber er folgte seinem Freund. Sie setzten sich in den Wagen, schalteten die Systeme ein und zogen sich die Nachtsichtgeräte über. Die Mirage II war so konstruiert, daß die beiden Piloten Rücken an Rücken in dem länglichen Rumpf saßen, Pierre und Fifi waren über eine Wechselsprechanlage in ihren Footballhelmen miteinander verbunden. Der Wagen rollte langsam den Kiesweg herab.
    »Ist sie nicht schön, unsere Mirage«, hörte Pierre Fifi in seinem Helmlautsprecher sagen, »leicht und stabil, und dabei so sicher wie …«
    »Halt’s Maul, Fifi«, sagte Pierre, der nervös war, wie immer zu Beginn eines Rennens. Zwar fuhren sie noch durch einen Teil des Bois de Boulogne, der wegen seiner Verwilderung und Abgelegenheit ganz selten von der Polizei kontrolliert wurde, aber Pierre kotzte die leichtsinnige Geschwätzigkeit seines Freundes trotzdem an, und Fifi mochte der Draufgänger im Team sein, Pierre war der erste Pilot, und damit basta. Die Nachtsichtgeräte waren sehr gut, es hatte einiger Übung bedurft, aber sie beide konnten damit beinahe so gut sehen wie am Tag. Sie rollten auf notdürftig instandgehaltenen Straßen, die einmal durch den ganzen Bois geführt hatten, aber heute manchmal in Sackgassen endeten, was machte es schon, sie kannten sich in dem Gewirr aus wie eine Katze in ihrem Fell. Treffpunkt war die Porte de Maillot, von dort wollten die Teams dieses Jahr starten, zum Coupe de Paris, wie die Piloten ihr Rennen spöttisch nannten. Der Plan war einfach. Man wollte Paris in selbstgebauten Wagen auf der Straße der Tränen, dem alten Autobahnring, einmal umrunden, dem Uhrzeigersinn entgegengesetzt, und wer als erster wieder an der Porte de Maillot ankam, hatte gewonnen. Das Problem bestand hauptsächlich darin, daß die Benutzung von Vehikeln mit mehr als zwei Rädern staatlichen Organen vorbehalten war, daß die Rennen also illegal waren. Die Polizei haßte die Piloten mit Nachdruck, weil sie sich von diesem Verbot nicht besonders beeindrucken ließen, sie haßte die Piloten, weil die meisten von ihnen Abkömmlinge arabischer Einwanderer waren, weil sie arbeitslos, weil sie jugendlich waren, und weil sie die Scheißflics provozierten, wo es nur ging. Der Hauptgrund für die Verfolgung der Piloten und ihrer Sympathisanten lag aber ganz woanders: sie

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