Wind des Südens
jedoch noch nicht passiert.«
Auf einem Sofa ausgestreckt trank Raymond Tee mit Mr. Li, der ihn über sein Geschwür und dessen derzeitigen Zustand befragte.
»Ich habe ein wenig Erfahrung mit Tropengeschwüren«, erklärte sein Gastgeber. »Wenn Sie es wünschen, könnte ich Sie untersuchen.«
Raymond stimmte zu; vermutlich würde es nicht schaden, und außerdem pochte der Schmerz nach den Erschütterungen durch die Fahrt wieder in der Wunde. Er hoffte, dass Mr. Li eine schmerzstillende Salbe zur Verfügung hatte.
Während er darauf wartete, dass Mr. Li mit dem nötigen Verbandmaterial zurückkam, schaute Raymond sich in dem Haus um. Die Bodendielen wie auch das Dach über ihm bestanden aus Zedernholz, der Fußboden war mit Teppichen bedeckt. Dieses Stockwerk bildete offenbar ein kleines Wohnzimmer. Sämtliche Möbel waren so ausgerichtet, dass man den Ausblick genießen konnte, doch weiter hinten neben einer Treppe stand ein breites Bett, fast völlig verborgen unter einem Moskitonetz, das von der Mitte aus einen Baldachin bildete.
Unvermittelt fühlte Raymond sich benachteiligt und schwelgte in Selbstmitleid. Was hätte er nicht für ein Moskitonetz gegeben und dafür, es irgendwo in diesem von Insekten verseuchten Krankenhaus aufhängen zu können.
Er lehnte sich zurück in die Polster und fühlte sich so behaglich wie schon seit langer Zeit nicht mehr. So schlummerte er ein. Mr. Li ließ offenbar lange auf sich warten.
Als er aufwachte, war Raymond orientierungslos. Er wusste nicht, wo er sich befand, bis hinter einem weißen Vorhang eine Stimme laut wurde, die Joseph gehörte.
Er zog das Moskitonetz zurück. »Was zum Teufel geht hier vor? Wo bin ich?«
»Entschuldigen Sie, Mr. Lewis, Sie sind in Mr. Lis Haus.«
»Allmächtiger Gott! Sagen Sie bloß, ich bin jetzt auch entführt worden?«
Joseph lachte. »Nein. Nichts dergleichen. Aber drüben im Krankenhaus habe ich gehört, was die Schwestern reden. Sie sagen, Sie müssten noch einmal operiert werden. Dr. Madison und die Oberschwester sind der Meinung, man kann sonst nichts mehr für Sie tun.«
»Was soll das heißen?«, fragte Raymond benommen.
»Ihr Bein. Sie wollen Ihnen das Bein abnehmen.«
»Was?«
Mr. Li erschien an der anderen Seite des Betts. »Sie dürfen sich nicht so aufregen. Es wird nicht geschehen.«
Er erklärte, dass der Tee, den Raymond getrunken hatte, ein Schlafmittel enthielt. So hatte er Raymond untersuchen können, ohne ihm Schmerzen zuzufügen.
»Wir haben die Wunde gereinigt, Sie gewaschen und Ihren Dekubitus behandelt.«
Raymond errötete, doch dann überfiel ihn wieder die Angst vor der Amputation. »Gott im Himmel, sind Sie sicher, dass sie mir das Bein abnehmen wollen?«
»Nicht, wenn Sie hier bleiben«, sagte Joseph.
»Aber ich kann doch nicht …«
Mr. Li half Raymond, sich aufzurichten, und stopfte ihm Kissen hinter den Rücken. »Wie fühlen Sie sich?«
»Eigentlich ganz gut. Durst habe ich …«
»Und das Bein?«
»Im Augenblick schmerzt es nicht.«
»Infektionen beeinträchtigen den gesamten Körper. Eine Wunde infiziert die andere, deshalb war es notwendig, alle zu behandeln. Das muss zweimal pro Tag geschehen.«
»Im Krankenhaus ist das nicht möglich«, seufzte Raymond.
»Aber Mr. Li wird dafür sorgen, falls Sie hier bleiben«, warf Joseph ein.
Li nickte. »Sie sind mir willkommen, Mr. Lewis. Die Infektionen müssen bekämpft werden, und wichtig ist auch, dass Sie sich behaglich fühlen. Die schmerzenden Stellen sind mit Kräutern behandelt worden, und die Wirkung hält vor, bis wir die Wunden frisch verbinden müssen.«
Raymond benötigte ein wenig Zeit, um sich auf die Situation einzustellen, doch zuerst musste er Näheres über den geheimnisvollen Mr. Li erfahren.
Offensichtlich stammte er aus Tientsin und war mit seinem Bruder nach Cooktown gekommen.
»Und wo hält dieser Herr sich jetzt auf?«, wollte Raymond wissen.
Li lächelte. »Er ist mit einer ganzen Reihe von Kulis
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