Wind des Südens
landeinwärts gezogen, um nach Gold zu graben.«
»Und er hat Sie hier zurückgelassen? Ihre offensichtlichen Medizinkenntnisse könnten dem Herrn an diesem grauenhaften Ort sehr dienlich sein.«
»Stimmt.« Li seufzte. »Aber in meinem Alter mochte ich die beschwerliche Reise nicht auf mich nehmen.«
Raymond fand diese Regelung reichlich merkwürdig, und Li war seine Verwunderung offenbar nicht entgangen.
»Außerdem«, fügte er hinzu, »hatte ich lediglich zugestimmt, meinen Bruder bis hierher zu begleiten. Es ist Li Wang Sus Expedition. Inzwischen betreibt er mehrere Goldminen – überaus erfolgreich, wie er sagt –, aber er bedarf hin und wieder dieses friedlichen Hauses zur Erholung seiner Seele.«
»Daran zweifle ich nicht eine Sekunde«, bemerkte Raymond finster.
Letztendlich schrieb er dann einen Brief an Dr. Madison, dankte ihm für seine Dienste und teilte ihm seinen Aufenthaltsort mit, für den Fall, dass jemand nach ihm fragte. Joseph erbot sich, den Brief zu überbringen und Raymonds Habseligkeiten aus dem Krankenhaus zu holen.
Am Abend genoss Raymond die Gesellschaft seines charmanten Gastgebers und seit Wochen die erste anständige Mahlzeit. Da seine Reisen durch China ihm noch ziemlich frisch im Gedächtnis waren, interessierten ihn die Gespräche mit Mr. Li ungemein, der seinerseits mehr über die australischen Kolonien und ihre politischen Systeme zu erfahren wünschte.
Die beiden Männer wurden enge Freunde, und innerhalb einer Woche heilte unter Mr. Lis gewissenhafter Behandlung der Dekubitus, und die Infektion der tiefen Beinwunde ließ immerhin nach.
Trotzdem hatte Raymond seine Mission nicht vergessen. Er bat Mr. Li, die Beschreibung der gesuchten Mörder an seinen Bruder weiterzuleiten und ihn zu bitten, nach diesen Männern Ausschau zu halten.
Mr. Li nickte. »Zurück zu den Goldfeldern zu gehen, das sollten Sie nicht riskieren. Das lässt Ihr Gesundheitszustand nicht zu.«
»Ich weiß. Aber jetzt aufgeben zu müssen ist ausgesprochen ärgerlich. Ich habe das Gefühl, in jeder Hinsicht versagt zu haben.«
»Aber Sie haben Ihr Bein noch.«
Raymond lachte. »Ja, natürlich!«
Die Midas-Mine, im Besitz eines Bankbeamten aus Sydney, beschäftigte über hundert Männer. Der Beamte und sein Partner hatten in der ersten Wochen am Palmer mehr als sechshundert Unzen Gold geschürft und waren zu einer nahe gelegenen Schlucht weitergezogen, wo sie ein Vermögen an Goldkörnern aus dem Grundgestein gruben. Beide waren inzwischen reiche Männer und beschlossen nun, ihrer eigenen Wege zu gehen. Sie teilten den Fund gerecht auf, und der Partner brach mit seinem Gold zur Küste auf, während der Beamte neue Claims absteckte und noch mehr Arbeiter einstellte. Er war entschlossen zu bleiben, bis er der reichste Mann auf den Goldfeldern war, und so fügte er seinen bisherigen Unternehmungen den Bau zweier Hotels in Maytown hinzu, so dass die Stadt nunmehr über insgesamt siebzehn Hotels und ein Dutzend Spielhöllen in den florierenden Budenstädten verfügte. Bis dahin hatten drei Banken eröffnet, und der Goldschätzer war der meistbeschäftigte Mann in der Gegend. Außerdem gab es mehrere Kaufhäuser und chinesische Läden und sogar eine Zeitung mit dem Namen Golden Age.
Bartie Lees Verbrechen war unbemerkt geblieben. Die Leichen lagen noch immer tief in der eingestürzten Mine begraben, von der jeder wusste, dass sie sowieso nichts eingebracht hatte, doch seine Taten nährten eine Heidenangst vor den Behörden. Statt einen neuen Claim abzustecken und registrieren zu lassen, nahm Bartie Arbeit in der Midas-Mine an, wo er für seine Schufterei bezahlt und ernährt wurde. Das war ihm zunächst ganz recht, bis er einen Weg gefunden hatte, an Gold heranzukommen. Es gab so viel davon, er hatte so viel gesehen – Goldbarren, Goldkörner, eimerweise Goldstaub –, dass er bei dem Gedanken, leer ausgehen zu müssen, beinahe weinte. Er hatte erfahren, dass seine chinesischen Schiffskameraden verhaftet worden waren, ein weiterer Grund, außer Sichtweite von Inspektoren jeglicher Art zu bleiben, aber da war immer noch Jake Tussup. Er musste Jake finden. Seinen Kumpel Jake. Alle anderen konnte er vergessen.
»Jake, er hatte von Anfang an Recht«,
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