Wind des Südens
zerbrechen.«
Doch Nevilles Sorge legte sich nicht. Als er am menschenleeren Ufer entlangging, spürte er, wie stark der Wind geworden war, und er hatte den Eindruck, dass er in den letzten Minuten sogar noch zugenommen hatte. Er hielt sich an einem Mangobaum fest, um nicht weggeblasen zu werden, und blickte auf das Meer hinaus. Dabei fragte er sich, welche Gefahren wohl jenseits der Bucht und des großen Riffs auf dem wilden Pazifik lauerten. »Ballen sich die gewaltigen Winde bereits zusammen und sammeln sich in rasender Wut, um sich auf uns zu stürzen?«, schoss es ihm durch den Kopf.
Trotz der Gelassenheit des Fischers hatte Neville das Gefühl, dass er etwas unternehmen musste.
Er eilte zurück ins Hotel und traf dort Mrs. Kassel an. Ihr Mann sei, so sagte sie, zum Metzger gegangen.
»Ich glaube, ein schwerer Sturm zieht auf«, meinte Neville zu ihr.
»Er zieht auf?«, wiederholte sie. »Er ist doch schon da. Ich kriege die Wäsche einfach nicht trocken. Die Ställe sind überschwemmt. Überall herrscht Durcheinander. Heute hatte ich nicht einmal Gäste.«
»Es kommt noch schlimmer. Da bin ich sicher. Es liegt in der Luft. Ich kann Ihnen den Grund zwar nicht erklären, aber Sie müssen Vorsichtsmaßnahmen treffen. Die Treppe ist stabil. Darunter können die Leute Schutz suchen. Der Wind wird vom Meer her wehen. Deshalb müssen Sie die hinteren Fenster und Türen öffnen, um den Druck zu vermindern.«
»Ach, du meine Güte, Mr. Caporn, da lassen wir ja das Wetter ins Haus!«
»Das kommt so oder so. Bitte, Mrs. Kassel. Meine Frau und ich haben im Fernen Osten einige solche Stürme mitgemacht, einen besonders schlimmen in Hongkong.«
»Soll das heißen, dass wir einen Wirbelsturm kriegen?«
»Ich glaube ja.«
»Warum warnt uns denn niemand? Ich muss Franz Bescheid sagen. Ich muss ihn holen …«
Neville hielt sie zurück. »Das übernehme ich. Sie rufen die Dienstboten und alle anderen ins Haus und verstecken sich unter der Treppe. Was ist mit der Molkerei im Hof? Die ist doch aus Backstein? Da sollen auch so viele Leute wie möglich unterkriechen.«
Er eilte zur Tür das Salons und rief nach Esme. »Ich denke, ein Hurrikan zieht auf. Du versteckst dich unter der Treppe. Ich gehe Franz suchen. Seine Frau braucht ihn.«
»Aber ich brauche dich«, erwiderte sie und kam näher. »Verlass bei diesem Wetter nicht mehr das Haus. Du hörst doch, dass es schlimmer geworden ist.«
Neville küsste sie. »Es dauert nicht lang. Ich habe es ja nicht weit.«
Der Wind wurde stärker. Ein Baum auf der anderen Straßenseite fiel um. Das ganze Hotel schien missmutig zu ächzen und zu stöhnen. Als eines der Hausmädchen loslief, um die Hintertür zu schließen, rief Esme sie zurück und wies das Küchenpersonal an, sich zu verstecken.
»Das Wetter wird sich verziehen, Madam«, protestierte die Köchin. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Möchten Sie eine Tasse Tee?«
»Nein, möchte ich nicht! Und Sie kommen jetzt sofort mit!«
Es dauerte eine Weile, bis Esme auch die drei anderen Gäste gefunden und im Abstellraum unter der Treppe versammelt hatte.
»Wir werden hier drinnen ersticken«, beschwerte sich jemand.
»Lassen Sie fürs Erste die Tür offen«, erwiderte Esme. »Wo ist Mrs. Kassel?«
»Sie vorn rausgegangen, um ihren Mann zu suchen.«
»O nein!« Esme rannte los und zerrte die sich sträubende Frau ins Haus.
Den Rest der Nacht hatte Clive im Rohbau seines Ladens verbracht und auf den Planen geschlafen, die die Maler zurückgelassen hatten. Als er aufwachte, fühlte er sich steif, und jeder Knochen im Leibe tat ihm weh. Wie immer nach einem seiner Wutausbrüche wurde er von Furcht ergriffen.
Nachdem er sich aufgerappelt hatte, starrte er missmutig auf die regennasse vom Wind durchtoste Straße hinaus und sagte sich, dass alles nur Emilies Schuld war, denn schließlich hatte sie ihn ja provoziert. Allerdings war es vermutlich das Beste, wenn er sich bei ihr entschuldigte. Um des lieben Friedens willen. Außerdem gab es hier im Laden vor der Eröffnung noch eine Menge zu tun. Er brauchte
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