Wind des Südens
Mal schweigend den Kopf schüttelte, ergriff Jesse das Wort.
»Keine Sorge, Mal ist in guten Händen. Ich begleite ihn nämlich.«
Schicksalsergeben zog Mal die Augenbrauen hoch. »Hoffentlich kannst du schwimmen«, gab er zurück. »Die Flüsse werden nach dem großen Regen rasen wie Dampflokomotiven.«
Am nächsten Tag hatte Esme einen Grund, Mal aufzusuchen. Sie wollte nicht, dass er ging, denn sie befürchtete, ohne seine Unterstützung zusammenzubrechen. Niemand wusste, wie sehr sie sich davor fürchtete, dass die Sache mit Apollo auffliegen und die Polizei bei ihr vorsprechen könnte. Zwar konnte Mal auch nur wenig dagegen unternehmen, aber er würde sicher weder schockiert noch empört reagieren, wenn die Wahrheit über die Caporns ans Licht kam.
»Ich muss dringend mit Ihnen sprechen«, begann Esme. »In der Stadt habe ich Clive Hillier getroffen. Er ist außer sich, weil seine Frau verschwunden ist. Als er erfuhr, ich sei bei ihr im Krankenhaus gewesen, hat er mir tatsächlich vorgeworfen …«
»O Gott, den habe ich ganz vergessen«, erwiderte Mal. »Am besten gehe ich in die Stadt und erzähle es Jesse, damit er es noch in der Zeitung unterbringt. Mrs. Hillier hat die Stadt gestern an Bord der SS Mangalore verlassen.«
»Ohne es ihrem Mann zu sagen?«
»Zu ihrer eigenen Sicherheit«, entgegnete Mal. »Aber das muss unter uns bleiben. Wir werden es dabei belassen. Sie ist fort, und Clive kann sich seinen Reim darauf machen.«
»Habe ich ihr deshalb die Kleider gebracht?«
»Ja«, antwortete er grinsend. »Doch mit der Verschwörung an sich haben Sie nichts zu tun.«
»Wie aufregend. Erzählen Sie mir irgendwann den Rest?«
»Vielleicht. Wenn Sie brav sind. Kommen Sie, ich begleite Sie in die Stadt zurück.«
Mit aufgespanntem Sonnenschirm schlenderte Esme neben ihm her. »Was werden Sie tun, wenn Sie all diese Verfolgungsjagden hinter sich haben? Kommen Sie dann zurück?«
Mal nickte. »Ja. Also seien Sie ein liebes Mädchen, und passen Sie auf Mrs. Plummer auf. Wenn Sie eine Freundin brauchen, Esme, werden Sie nur schwer eine bessere finden als sie. Nur wenige kennen so viel von der Welt wie sie.«
»Ja, wahrscheinlich haben Sie Recht. Tut mir Leid, dass ich so ein Trauerkloß bin.«
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Sie sind doch kein Trauerkloß.« Er lächelte ihr zu. »Mrs. Plummer ist nicht die Einzige, die Ihre Gesellschaft genießt. Wir haben Sie alle sehr gern. Sie müssen sich nur ein wenig Zeit lassen.«
»Einverstanden.«
Er bemerkte, wie hübsch ihr kupferrotes Haar schimmerte, und erinnerte sich daran, wie schändlich sie auf dem Schiff behandelt worden war. Ohne nachzudenken, zog er sie an sich.
»Sie haben viel durchgemacht, meine Liebe«, meinte er. »Es war sehr schwer für Sie. Ich wünschte, ich könnte Ihnen sagen, dass es leicht ist, die Vergangenheit zu vergessen, doch wenn es auch noch schwer für Sie ist, so ist es zumindest einen Versuch wert.«
Er blickte auf sie hinab. »Also los. Lächeln Sie. Und jetzt verbreiten wir die Nachricht, dass dem alten Clive die Frau weggelaufen ist. Das verdirbt ihm sicher endgültig den Tag.«
»Mit Vergnügen«, entgegnete Esme und fragte sich, woran es nur lag, dass sie sich in Mals Gegenwart besser, ja, fast ein bisschen glücklich fühlte – und das, obwohl sie gerade erfahren hatte, dass er auf unabsehbare Zeit fortwollte. Sie hoffte, dass er sein Versprechen halten und zurückkommen würde. Hoffentlich würde er das unterwegs nicht vergessen.
16. Kapitel
Der jüngere Herr Li war von Chang, dem neuen Mitarbeiter, sehr beeindruckt und hätte ihn gern für seine eigene Mannschaft abgeworben, wäre der Verwalter nicht von seinen Verpflichtungen gegenüber der edlen Dame Xiu so in Anspruch genommen worden. Bei der Wiedereröffnung der Minen waren seine Leistungen äußerst lobenswert gewesen, doch das war auch nicht weiter schwer, denn jeder von Mr. Lis Vorarbeitern hätte die Anweisungen genauso gewissenhaft ausgeführt. Changs Vorzug bestand eher darin, dass er gut mit Menschen umgehen konnte. In den entsprechenden Kreisen machte er einen gebildeten und charmanten
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