Wind des Südens
vorbei.
Am nächsten Morgen schlief Esme aus. Beim Aufwachen fand sie auf ihrem Nachtkästchen drei Briefe vor. Zwei waren Kondolenzschreiben von Einwohnern der Stadt, der dritte Brief stammte von Lyle Horwood. Ihr stockte der Atem. Warum schrieb der Direktor von Apollo Properties an sie?
Doch als sie den Brief öffnete, blieb ihr fast das Herz stehen. Esme schnappte nach Luft. Der Schmuck! Die unglaubwürdige Liste »gestohlener« Schmuckstücke, die sie frei erfunden hatte. Hatte sie die Aufstellung je abgegeben? Esme konnte sich nicht erinnern. Aber offenbar hatte Neville sie Lyle übergeben, damit der sie bei der Versicherung einreichte.
Und die war bereit zu bezahlen.
»O mein Gott, ich glaube, ich habe behauptet, mein Schmuck wäre tausend Pfund wert gewesen.«
Esme erschauderte und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie griff nach dem Foto von Neville in einem Silberrahmen, das Mrs. Plummer ihr in ihrer Güte auf die Frisierkommode gestellt hatte.
»So viel zum Thema Ehrlichkeit«, sagte sie zu ihm. »Das kann ich nicht ablehnen.«
Das Schiff fuhr direkt nach Brisbane.
»Wirst du dort bleiben oder nach Maryborough zurückkehren?«, wollte Mal von Mrs. Hillier wissen.
»Ich warte in Brisbane, bis ich dank deiner Hilfe geschieden bin. Ich fasse es nicht, wie großzügig du bist, Mal. Das werde ich dir nie gutmachen können.«
»Das hast du bereits, Emilie. Wir sind quitt. Was hast du anschließend vor?«
»Ich glaube, ich kehre nach England zurück. Meine Schwester wohnt noch in unserem alten Haus.«
»Sehr gut. Aber wir bleiben in Kontakt. Du gibst mir Bescheid, wo du bist und wie es dir geht. Schreib mir an Jesses Adresse. Er wird die Briefe an mich weiterleiten, bis ich mich irgendwo häuslich niedergelassen habe.«
Emilie lachte auf. »Du und häuslich?«
»Ja. Findest du nicht, dass es langsam Zeit wird?«
»Wahrscheinlich schon. Was hast du vor?«
»Ich weiß nicht genau. Mein Geschäft in China habe ich ja verkauft …«
Sie redeten und plauderten und waren ein wenig verlegen, weil sie wussten, dass Mal jede Minute würde von Bord gehen müssen. Emilie war zurückhaltend. Am liebsten hätte sie ihn umarmt und ihm für alles gedankt, doch sie wollte sich ihm nicht aufdrängen, denn schließlich trauerte er immer noch um seine Frau.
Mal war so anders als die meisten Menschen, die sie kannte. Er nahm nie ein Blatt vor den Mund, so dass man stets wusste, woran man bei ihm war. Und dennoch hatte sie bereits Geheimnisse vor ihm. Sie hatte ihm verschwiegen, dass sie schwanger war, damit er sich nicht noch mehr Sorgen um sie machte. Vielleicht hätte er sich sogar Vorwürfe gemacht, weil er sie zur Trennung vom Vater des Kindes ermutigt hatte.
Am Morgen hatte ihr zu ihrer Überraschung Mrs. Caporn einen Besuch abgestattet. Sie hatte ihr einen kleinen Koffer mit einigen Kleidern und Kleinigkeiten für die Reise gebracht und erklärt, Mal schicke sie. Sie war nicht lang geblieben und hatte gemeint, sie sei zurzeit nicht besonders gesprächig. Emilie hatte Verständnis dafür.
Nachdem sie fort war, traten Emilie wegen Mrs. Caporns Verlust und Mals Güte die Tränen in die Augen.
Als sie den Koffer durchsah, war sie beeindruckt, wie genau Mrs. Caporn ihre Größe geschätzt hatte. Sogar die Knöpfstiefel passten. In einer Seitentasche entdeckte Emilie einen Umschlag, der eine Fahrkarte für ein Schiff nach Brisbane enthielt, das noch heute Nachmittag ablegen würde. Außerdem einige Banknoten und eine sehr bedeutsam wirkende Urkunde, die sich als Kreditbrief an die Bank of Australasia in Brisbane entpuppte, ausgestellt auf ihren Namen und den Betrag von eintausend Pfund.
Emilie erschrak. Diese Summe war viel zu hoch. Doch das war typisch für Mal. Er musste es immer übertreiben. Wie mit seinem plötzlichen Aufbruch nach China.
Und dann war da noch das Gold. Sie war immer neugierig gewesen, was aus der Beute aus dem Raub geworden war. Mal hatte das Gold nicht gestohlen, so viel stand fest. Die beiden Täter hatten schließlich gestanden. Allerdings war die Beute nie gefunden worden. Einer der Männer hatte sich selbst
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