Wind des Südens
Aufgabe nur widerwillig erledigen?«, hatte Herr Li sich ereifert. »Glauben Sie etwa, Sie könnten sich Ihre Pflichten gegenüber Ihrer Gönnerin selbst aussuchen?«
»Nein, Herr. Allerdings kennt mich diese Person, und deshalb …«
»Das«, unterbrach ihn Herr Li, »wird Ihnen die Aufgabe erleichtern. Da Ihnen die übrigen Verbrecher unbekannt waren, mussten Sie sie selbst aufspüren. Dieser Person hingegen werden Sie immer wieder begegnen.«
»Verzeihung, Herr, doch diese Unternehmung würde mir sehr schwer fallen. Mir war nicht bewusst, dass die Dame Xiu Ling Lu dieses Vorhaben billigt. Ich fürchte, sie könnte nicht einverstanden sein.«
»Ach, wirklich? Sie unbedeutender Tropf! Es steht Ihnen nicht zu, die Entscheidungen von Mitgliedern der Familie Xiu anzuzweifeln, insbesondere nicht die von Xiu Tan Lan, ihrem Vater. Er hat den Befehl gegeben, und Sie werden ihn ausführen. Ansonsten werde ich jemand anderen finden, der es tut.« Li schlug mit der Hand auf den Tisch und beugte sich drohend vor. »Wissen Sie nicht, dass Sie keine andere Wahl haben, Sie Dummkopf? Ihre Zögern hat den Geruch von Illoyalität! Ich verlange sofort eine Antwort. Und zwar auf der Stelle. Es wird ohnehin geschehen. Also: Werden Sie den Befehl ausführen?«
Chang sah sich gezwungen, nachzugeben; er senkte den Kopf und murmelte seine Zustimmung.
»Verschwinden Sie«, zischte Herr Li. »Erledigen Sie Ihren Auftrag, und melden Sie sich bei Herrn Li in Cooktown. Wenn Sie mich enttäuschen, wird Ihr Ersatzmann sich auch um Sie kümmern.«
Er schnippte mit den Fingern und scheuchte Chang aus dem Raum, während ein Diener mit einer Kanne duftendem Tee hereineilte.
Verärgert, als er sich an diese Demütigung erinnerte, gab Chang einem Kuli einen Halfpenny, damit dieser auf ihre Habe achtete. Danach schlenderte er aus der Herberge zu einer Bude am Straßenrand, wo er einer jungen Chinesin ein paar barsche Befehle gab. Diese brachte ihm daraufhin einen Klappstuhl, eine Flasche Wein und eine lange Zigarre. Nachdem Chang es sich gemütlich gemacht hatte, zog er Bilanz und musterte dabei die Gesichter der Passanten. Nun musste er Mr. Willoughby finden. Wie überrascht würde er wohl sein, wenn er erfuhr, dass er, Chang, seinen Erzfeind, keinen anderen als den berüchtigten Meuterer, Entführer und Mörder Jake Tussup, getötet hatte? Diesen Abschaum. Wieder war er Willoughby zuvorgekommen. Chang fragte sich, ob Willoughby wusste, dass einige der Meuterer inzwischen nicht mehr unter den Lebenden weilten und tot in der eingestürzten Mine gefunden worden waren. Es würde ein Spaß sein, ihm zu eröffnen, dass seine Mission vollendet war: Alle Meuterer waren erledigt.
Hier sah es ganz anders aus als am Palmer. Das Gelände war dichter bewaldet und uneben. Immer wieder wurden die Flusstäler von felsigen Hügeln und Vorsprüngen durchbrochen. Chang hatte im Registeramt von Maytown die Karte studiert und dabei festgestellt, dass diese Goldfelder über einen Küstenhafen verfügten – es war ein kleines Dorf, das Cairns hieß. Bis zur nächsten Stadt waren es mehrere tausend Kilometer, was Changs Verachtung für dieses unzivilisierte Land noch steigerte. Chang war in Tientsin geboren und aufgewachsen und liebte das Brodeln und den Lärm, die einen dort ununterbrochen umgaben. Hier draußen war es trotz der vielen Goldsucher, die zielstrebig an ihm vorbeimarschierten, ziemlich ruhig. Den ganzen Tag und die ganze Nacht lang konnte man die Vögel singen hören – das war zugegebenermaßen sehr angenehm, da diese Vögel ausgesprochen melodische Stimmen hatten. Allerdings hob das die Stille, für Chang meist gleichbedeutend mit Einsamkeit, nur noch mehr hervor. »Vielleicht habe ich ja Heimweh«, sagte er sich. »Obwohl: Das kenne ich nicht an mir.«
Während er an der Zigarre zog und gleichmäßig den Rauch in die Luft blies, beobachtete er vier weiße Männer, die an ihm vorbeischlenderten. Ein kräftig gebauter Rotschopf bemerkte ihn und drehte sich ärgerlich um. »Was glotzt du so dämlich, verdammter Chinese?«
Chang verzog verdattert das Gesicht, breitete die Hände aus und begann aufgeregt auf Chinesisch zu plappern – wobei es sich in Wahrheit um die in seinen Augen hier angebrachten Beschimpfungen handelte.
»Lass ihn in Ruhe«, rief einer der Freunde des
Weitere Kostenlose Bücher