Wind des Südens
meinte es wirklich so. Das Problem war nur, dass Wu Tin vielleicht doch Recht hatte. Möglicherweise ging sein Freund Mr. Willoughby tatsächlich das Risiko ein, sich an die Polizei zu wenden und alles auszuplaudern, bevor er, Chang, sich in Sicherheit gebracht hatte und wohlbehalten unterwegs nach China war – mit einem hübschen Beutel Gold in der Tasche, aller Pflichten ledig und ohne die Familie Xiu weiter fürchten zu müssen. Dann jedoch sah er einen Reiter auf sie zukommen.
»Zu spät«, sagte er rasch. »Ich kann ihn nicht erschießen. Wir haben Besuch.«
»Ich hatte eher den Eindruck, dass Sie mich erschießen wollten, Sie Dreckskerl.«
»Das ist ein bedauerlicher Irrtum, und ich bin tief gekränkt.«
»Geben Sie mir die Pistole.«
Achselzuckend gehorchte Chang. Eine Waffe war so gut wie die andere. Allerdings war er erleichtert, denn eigentlich wollte er Herrn Xius Befehl gar nicht ausführen. Schließlich hatte er den Vertrag mit dessen trauernder Gattin geschlossen. Willoughby hatte nichts Böses getan. Selbst jetzt verhielt er sich wie ein Ehrenmann. Und sehr leichtsinnig.
Der Reiter war Jesse Field. Da er unterwegs einige berittene Polizisten getroffen und von ihnen erfahren hatte, Mal und seine chinesischen Begleiter seien nur ein kurzes Stück voraus, hatte er sein Pferd zur Eile angetrieben, um sie einzuholen.
»Was ist hier passiert?«, wunderte er sich, als er feststellte, dass einer der Chinesen gefesselt war und der andere einen Revolver in der Hand hielt, den er Mal unvermittelt reichte.
»Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit«, erwiderte Mal. »Sieh dir bitte meinen Hals an.«
Jesse stieg vom Pferd, um die Verletzung zu untersuchen, während Mal nach dem Wasserkessel griff. »Damit kannst du sie auswaschen.«
»Der Schnitt ist nicht tief«, meinte Jesse und reinigte die Wunde. »Moment, ich hole ein wenig Teebaumöl, um sie zu desinfizieren.«
Nachdem das erledigt war, stellte Mal die beiden Chinesen vor und erklärte, wer sie waren.
Jesse war erfreut, den Mann kennen zu lernen, der Mal in China eine solche Hilfe gewesen war. Zu seiner Erleichterung war der ausgesprochen selbstbewusste Chinese Mals Freund, weshalb sein erster Eindruck von ihm offenbar falsch gewesen war.
Sie teilten ihren Proviant und genehmigten sich ein Mahl aus Gemüsekuchen mit Reis und Pökelfleischfrikadellen. Dazu gab es schwarzen Tee und eine Flasche guten Wein aus dem Keller des Gouverneurs. Jesse befragte Chang zu seinen Ansichten über dieses Land und erfuhr zu seiner Freude, dass dieser es als wundervoll, schön und Ehrfurcht gebietend empfand. Der Chinese bedauerte, nun, da seine Arbeit beendet war, in seine Heimat zurückkehren zu müssen, weshalb er keine Zeit mehr haben würde, weitere Städte zu besichtigen.
»Was machen Sie denn beruflich?«
»Ich war als Minenverwalter für die hoch geschätzten Gebrüder Li tätig, die über viele Minen und zahlreiche Kulis gebieten. Doch inzwischen gibt es kaum noch Gold in den Goldfeldern am Palmer.«
Bald waren sie wieder unterwegs. Mal hatte seinem Angreifer – der noch benommen war und eine dicke Beule auf der Stirn hatte – die Fesseln abgenommen, ihn auf sein Pferd verfrachtet und ihm die Hände an den Sattel gebunden. Weil das Tier lahmte, kamen sie nur langsam voran. Die ganze Zeit wartete Jesse darauf, dass Mal ihm verriet, was er ihm so dringend hatte anvertrauen wollen. Doch da sein Freund schwieg, nahm er an, dass sein Bericht nicht für die Ohren ihrer Begleiter bestimmt war.
»Wirst du diesen Kerl anzeigen?«, fragte er mit einer Kopfbewegung zu Wu Tin.
»Nein«, entgegnete Mal.
»Aber er hat doch versucht, dich umzubringen.«
»Nein, hat er nicht. Wir haben uns nur geprügelt.«
Die Straße, die durch die Ebene nach Cairns führte, schlängelte sich durch taillenhohes Gras, uralte Farne und müde aussehende Palmen. Sie kamen an Farmen, platt gedrückten Maisfeldern und überfluteten Gemüsegärten vorbei, aber die einsam gelegenen Häuser selbst schienen das Unwetter überstanden zu haben. Ein Stück weiter stießen sie auf die ersten zerstörten Gebäude, und in Cairns selbst
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