Wind des Südens
erkundigte Esme sich ängstlich.
»Das weiß ich auch nicht. Er hat nicht viel erzählt.«
In diesem Augenblick rauschte der Bürgermeister auf sie zu, der mit dunklem Anzug und Melone ziemlich nervös und erhitzt wirkte. »Kommen Sie, meine Liebe«, sagte er und packte Esme am Arm. »Verzeihen Sie die Verspätung. Also gehen wir hinein!«
»Ich möchte lieber nicht dort oben sitzen …«, protestierte Esme, doch er achtete nicht darauf.
»Unsinn. Ohne Ihren lieben verstorbenen Gatten wären wir heute alle nicht mehr hier.«
Während er Esme wegzog, drehte Eleanor sich zu Jesse um. »Auf dem Podium wird sie sich nicht sehr amüsieren.«
»Es dauert ja nicht lang. Außerdem steht ihr noch einiges bevor. Man hat in der Stadt gesammelt, um Nevilles Witwe ein kleines Zeichen der Dankbarkeit zukommen zu lassen. Sie wird eine gravierte Rosenvase aus Silber mit einem kleinen Umschlag darin bekommen.« Er schmunzelte. »Dieser enthält fünfzig Pfund.«
»Eine hübsche Idee.« Eleanor raffte ihre Röcke. »Am besten gehen wir jetzt hinein. Dann können Sie mir ja erzählen, was Sie und Mal so getrieben haben.«
Jake übernachtete mit den Holzfällern in einer Schlafbaracke hinter dem Pub. Nachdem er ein Billett für eine Fahrt mit einem Küstendampfer erworben hatte, der in zwei Tagen nach Brisbane aufbrechen sollte, kehrte er in den Pub zurück, wo er sich erschöpft gab und den Rest des Tages auf seiner Pritsche verbrachte. Abends gesellte er sich zwar zu seinen Freunden, um eine Mahlzeit und ein paar Getränke unter dem Sternenhimmel zu sich zu nehmen. Doch als der Alkohol wieder in Strömen floss und unter den Männern Streit ausbrach, zog er sich wieder diskret zurück.
Am nächsten Morgen erfuhr er, dass die Polizei gerufen worden war, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Allerdings war niemand verhaftet worden. Seine Kameraden saßen in der Schlafbaracke und kurierten ihren Kater mit Rum, als jemand Jake eine Zeitung zuwarf.
Entgeistert starrte Jake auf das Foto von Mrs. Plummer und Mrs. Caporn – zwei der Frauen vom Schiff –, das bei einer Veranstaltung in der Stadt aufgenommen worden war. In dem Artikel stand weiter, der verstorbene Mr. Caporn habe eine Firma gegründet, die den Bau von Läden in der Stadt finanzierte. Unterstützt werde das Vorhaben von Sir Lyle Horwood …
»Gott Allmächtiger!«, murmelte Jake. »Sind sie etwa alle hier? Was haben sie in dieser Stadt verloren? Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich nie einen Fuß in dieses Drecksnest gesetzt.«
»Ich glaube, ich brauche jetzt doch einen Schluck Rum«, meinte er, und man reichte ihm die Flasche.
An diesem Tag schlief Jake Tussup sich gründlich aus. Als es dunkel wurde, verabschiedete er sich von seinen Freunden, begab sich unauffällig zum Hafen und ging an Bord des Schiffes, das bei Anbruch der Flut am frühen Morgen in See stechen würde. Er hatte eine Kabine in der ersten Klasse gebucht, wo er sich bis zur Ankunft in Brisbane versteckt halten konnte. Dort würde er einige ernste Entscheidungen treffen müssen. Dass er weiter zur See fuhr, kam nicht in Frage, und er hatte nur wenig Lust, den Rest seines Lebens auf der Flucht zu verbringen. Nun blieb ihm nur noch übrig zu beten, dass keiner aus der Mannschaft des Dampfers ihn erkennen würde.
Jesse saß in der Redaktion und war mit einer Fülle von Nachrichtenmeldungen beschäftigt, als sein Chefredakteur hereinschneite und verlangte, dass er einen weiteren Artikel über die schweren Sturmschäden in der Stadt verfasste. Es sollte ein Artikel werden, der ans Herz ging, und zwar über einen kleinen Jungen, der während des Unwetters sein Haustier, eine Teppichschlange, verloren und zum Entsetzen seiner Eltern als Ersatz eine giftige Tigerotter mit nach Hause gebracht hatte.
Bald jedoch huschte sein Stift wieder übers Papier, und er berichtete von der erfolgreichen Einrichtung einer Telefonverbindung zwischen Sydney und Maitland, dem ersten Tennisturnier Australiens, das auf dem Cricketfeld von Melbourne ausgetragen worden war, und dem angedrohten sechswöchigen Streik der Seeleute, die gegen die Beschäftigung chinesischer Matrosen protestierten. Außerdem war die Kelly-Bande für vogelfrei erklärt worden. Für ihre
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