Wind des Südens
Ergreifung, ob tot oder lebendig, hatte man eine Belohnung von fünfhundert Pfund pro Kopf ausgesetzt.
»Puh!«, stöhnte Jesse. »Das ist aber viel!« Jesse hatte nämlich eine Schwäche für die verwegenen Kelly-Burschen.
Er lehnte sich zurück, um den Hintergrund zu dieser Geschichte zu lesen, die ein Korrespondent seiner Zeitung aus Melbourne geschickt hatte, als Mal in die Redaktion spaziert kam.
»Hast du eine Minute Zeit für mich?«
»Aber natürlich. Komm rein. Setz dich.« Er sprang auf, nahm einen Papierstapel von einem Stuhl und legte ihn zu einem anderen auf den Boden. »Seit wann bist du denn zurück?«
»Seit dieser Minute«, erwiderte Mal und zog die staubige Jacke aus. »Hast du Changs Papiere noch?«
»Ja. Soll ich sie dir geben? Ich habe sie irgendwo hier in einer Schublade …« Er beugte sich vor, um sie zu suchen, doch Mal bat ihn, damit einen Moment zu warten.
»Ich muss mit dir reden. Ich war noch mal am Hodgkinson. Allerdings nicht am Oberlauf, doch das war auch gar nicht nötig. Unterwegs bin ich mit der Polizei ins Gespräch gekommen: Endlich habe ich erfahren, was ich wollte.«
»Und was war das?«
»Dass im Wald auf dem Weg nach Merthyr’s Ferry eine Männerleiche gefunden wurde.«
Jesse zog den Bleistift hinter seinem Ohr hervor. »Eine Leiche? Wessen Leiche? Wie ist der Mann gestorben?«
»Der Tote«, entgegnete Mal müde, »ist Jake Tussup. Er wurde hinterrücks erschossen.«
»Was? Gott steh uns bei! Das bist doch nicht etwa du gewesen, oder?«
»Nein. Ich habe das Gerücht aufgeschnappt, dass auf dieser Straße ein Mord passiert ist, und das hat mir zu denken gegeben. Deshalb bin ich auch umgekehrt. Ich wollte wissen, ob was Wahres dran ist.«
Jesse zündete sich in aller Seelenruhe eine Pfeife an. Dann warf er Mal einen Blick zu und nickte. »Ich verstehe. Das Gerücht deckte sich also mit der Wirklichkeit: Es gibt tatsächlich eine Leiche, und es ist zufällig die von Jake Tussup.«
»Ja.«
»Und mehr ist bei deinen spontanen Ermittlungen nicht herausgekommen?«
»Doch. Da steckt noch viel mehr dahinter.«
»Das will ich auch hoffen«, brummte Jesse und fuhr sich mit der Hand durch das buschige, stahlgraue Haar. »Hast du einen Augenblick Geduld? Ich muss hier noch etwas erledigen, aber es dauert nicht lange.«
»Ist mir recht. Dann wasche ich mich, esse irgendwo einen Happen und komme wieder.«
»Wehe, wenn nicht. Ich räume extra deinetwegen meinen Schreibtisch frei.«
Als Mal zurückkam, hatte er für Jesse ein Frikadellenbrötchen, ein paar eingelegte Zwiebeln und eine Flasche Bier dabei.
»Es könnte eine Weile dauern«, erklärte er. »Also greif zu.«
Während Jesse das Brötchen verspeiste, schilderte Mal ihm seine letzte Begegung mit Chang und das, was der Chinese ihm erzählt hatte.
»Er war sehr zufrieden mit sich!«, rief Mal verzweifelt aus. »Er dachte, ich würde mich freuen, dass er mir die Arbeit abgenommen hat. Wu Tin sollte es bezeugen. Sie haben Tussup vom Palmer her verfolgt, ihn schließlich eingeholt und ihn erschossen.«
Mal klatschte in die Hände und breitete dann hilflos die Handflächen aus. »Einfach so.«
»Sie haben ihn ermordet?«
»Ohne mit der Wimper zu zucken. Aus diesem Grund bin ich ja umgekehrt. Ich wollte herausfinden, ob die zwei die Wahrheit sagen.«
»Also hast du sie hierher in die Festung gelockt, um Zeit zu gewinnen.«
»Richtig. Aber jetzt wird es heikel. Chang ist kein Narr. Er hat mich bereits gewarnt, er würde alles abstreiten, falls ich ihn der Polizei übergebe. Stattdessen würde er behaupten, dass es genau andersherum war: Ich hätte Tussup getötet und damit geprahlt, dass ich es ihm endlich heimgezahlt hätte. Weißt du, er würde einfach vorgeben, er hätte gar keinen Grund gehabt, Tussup zu verfolgen und zu töten. Doch das stimmt nicht, Jesse. Er ist nämlich dafür bezahlt worden, Tussup aufzuspüren und ihn zu beseitigen, und zwar von Jun Liens Familie in China.«
»Du heiliger Strohsack! Woher weißt du das alles?« Jesse griff
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