Wind des Südens
Mal.«
»Ach, wirklich? Haben Sie ihm die Gegendarstellung im Courier besorgt?«
»Nein. Darum hat er sich selbst gekümmert. Ich habe mich beim Polizeichef erkundigt, was man ihm vorwerfen würde, falls er sich stellte. Er hatte das Davonlaufen satt. Doch offenbar sind Sie sein größtes Problem, Mal.«
»Warum ich? Und weshalb hat man ihn nicht verhaftet?«
»Wegen Sir Lyle Horwood«, engegnete Miss Lewis erbost. »Er hat hinter den Kulissen ein paar Fäden gezogen und dem Polizeichef gegenüber sogar angedeutet, er könne ihm womöglich zu einer Erhebung in den Adelsstand verhelfen …«
»Lavinia! Das hat Jasper mir im Vertrauen mitgeteilt«, tadelte Raymond.
»Und er sollte sich schämen, so ein Angebot überhaupt in Erwägung zu ziehen«, zischte sie.
»Was geht diese Sache Lyle überhaupt an?«, fragte Mal.
»Eine ganze Menge sogar«, entgegnete Raymond widerstrebend. »Wirklich. Lassen Sie mich von Constance erzählen.«
»Ja gern. Eleanor und Esme machen sich große Sorgen um sie«, antwortete Mal. »Sie möchten sie so bald wie möglich besuchen.«
»Die beiden sind in der Stadt? Hier? Seit wann?« Raymond war verdattert und nicht wenig erfreut. Mal hatte seine liebe Not, den Anwalt dazu zu bringen, ihm die ganze traurige Geschichte zu erzählen, wie Tussup dem Gesetz ein Schnippchen geschlagen hatte und auf freiem Fuß geblieben war, während Constance in ernsthaften Schwierigkeiten steckte. Zum Glück ergriff Miss Lewis die Gelegenheit, ihrem Ärger Luft zu machen, so dass Mal bald sämtliche Einzelheiten kannte, die Raymond lieber hätte unter den Tisch fallen lassen; der Anwalt brannte nämlich darauf, das Gespräch so schnell wie möglich zu beenden, um endlich die Damen zu sehen. Insbesondere Eleanor, dachte Mal.
Schließlich war Raymonds Geduld zu Ende. »Ich hole die Kutsche und fahre Sie zurück in die Stadt«, schlug er Mal vor, der sich freute, nicht zu Fuß gehen zu müssen. Allerdings war er verärgert, weil er Tussup schon wieder verpasst hatte.
Obwohl Raymond sich auf das Wiedersehen mit Eleanor und Esme gefreut hatte, verlief die Begegung in der Hotelhalle alles andere als harmonisch. Die Frauen waren empört, weil keine Anklage gegen Jake Tussup erhoben worden war, und sehr bestürzt, als sie von Constances Aufenthaltsort erfuhren. Doch Raymond erklärte ihnen rasch, dass man in beiden Fällen nicht viel unternehmen könne.
»Wirklich gar nichts?«, ereiferte sich Eleanor. »Liegt das vielleicht daran, dass Tussup Ihr Mandant ist? Oder ist es Ihnen einfach zu mühsam, Raymond?«
»Sie sind ungerecht«, erwiderte er. »Man versucht, das Beste für alle Beteiligten zu tun. Ich habe große Anstrengungen unternommen, um Constances Interessen zu wahren. Es war nicht leicht, sie überhaupt sehen zu dürfen. Und seit wir die Erlaubnis dazu haben, besuchen wir sie regelmäßig. Lyle Horwood ahnt nichts davon, denn sonst würde er es unterbinden.«
»Und Sie haben keine rechtlichen Schritte unternommen, um Horwood daran zu hindern, so mit seiner Frau umzuspringen?«
»Constance will bleiben. Sie fühlt sich dort sicher.«
»In einer Irrenanstalt!«, rief Esme aus. »Ich würde in so einer Umgebung zugrunde gehen! Was haben Sie sich bloß dabei gedacht, Raymond? Wenn die Ärzte sie für geisteskrank halten und Sie der Ansicht sind, dass sie zurzeit nicht ganz zurechnungsfähig ist, warum nehmen Sie ihre Einschätzung der Lage dann unwidersprochen hin? Als Ihr Anwalt ist es Ihre Pflicht, die Entscheidungen zu fällen und sich nicht einfach den ihren zu beugen.«
»Versuchen Sie doch, mich zu verstehen, Esme. Juristisch betrachtet bewege ich mich auf dünnem Eis. Dem Gesetz nach dürfte ich die Anstalt gar nicht betreten. Ich habe kein Recht darauf, Constance zu besuchen.«
»Haben Sie Lyle Horwood nicht zur Rede gestellt?«
»Das ist aussichtslos, solange Constance in der Anstalt bleiben will. Aber was halten Sie von einem Glas Wein, meine Lieben? Champagner wäre sogar noch besser. Was sagen Sie dazu?«
Nicht unbedingt überschwänglich nahmen sie das Angebot an. Raymond, der versuchte, ein wenig Frohsinn zu verbreiten, klatschte vergnügt in die
Weitere Kostenlose Bücher