Wind des Südens
kleine Weile, dachte er.
Constance ließ sich ins Gras fallen, während der chinesische Koch »ihr« Zelt errichtete. Inzwischen war sie überzeugt davon, dass sie wahnsinnig wurde, dass ihre grauenhafte Lage ihr den Verstand raubte – und die Sprache. Sie erinnerte sich an ihren Entschluss, nicht mit den Männern zu sprechen, sich ihnen völlig zu verschließen, doch als sie dann hätte reden müssen, als Tussup sie anbrüllte, hatte sie keinen Ton hervorgebracht. Irgendwie hatte sich ihr die Kehle zugeschnürt, obwohl sie keine Halsschmerzen hatte. Und seit Tussup Ah Koo durch seine Drohungen gezähmt hatte, war der Mann wirklich hilfsbereit. Er hatte ihr auf dem schwierigen Weg beigestanden – ohne Aufforderung. Dadurch hatte sie den Mut gefasst zu fragen, wohin man sie brachte, aber die Worte wollten nicht heraus. Sie kamen als kaum hörbares Flüstern, dem verlegenes Schweigen folgte. Ah Koo verstand ihr Flüstern falsch.
»Sie müssen mal, Lady? Gehen Sie da rüber, in die Büsche.«
Er trat beiseite, um hinter dichtem Gebüsch ihre Intimsphäre nicht zu verletzen, was Constance tief erröten ließ, doch die Natur verlangte ihr Recht, und sie nahm die Gelegenheit wahr. Sie spielte auch mit dem Gedanken wegzulaufen, doch dieser Dschungel machte ihr Angst; ein Mann war schon von einer Schlange gebissen worden. Leider, so dachte sie, war es keine Giftschlange gewesen. Sonst hätte sie es jetzt mit einem Mörder weniger zu tun.
Außerdem störte sie, dass sie, als sie die Hügelkette erreicht hatten, eine tiefe Zufriedenheit empfunden hatte. Ein weiterer Beweis dafür, dass sie den Verstand verlor. Es gab überhaupt nichts, was ihre Zufriedenheit wecken konnte, außer der Tatsache, dass sie den Gewaltmarsch dieses Nachmittags trotz ihrer Angst und ihrer unzulänglichen Schuhe überlebt hatte. Doch sie hatte schnell gelernt, sicher aufzutreten, sich an den Ranken und Ästen über ihr festzuhalten und so den Fallen aus dicken Wurzeln und Erdfurchen und glitschigen grünen Steinen auszuweichen, die mehrere von den Trägern zu Fall gebracht hatten. Ein Anblick, der sie erfreut hatte. »Ja«, sagte sie zu sich selbst und betrachtete die Blasen an ihren Händen, »wie ein Affe habe ich mich diesen Weg entlanggehangelt.« Und sie hatte sich von ihren Sorgen und Ängsten abgelenkt, indem sie dem Lärm der Vögel lauschte und den unebenen Boden im Auge behielt.
Tussup hatte sich mehrere Male nach ihr umgesehen und gefragt, ob alles in Ordnung sei, doch sie hatte nicht einmal versucht, ihm zu antworten, und nahm nur den Gehstock, den Ah Koo ihr als Stütze reichte, als sie einen steinigen Bach durchqueren mussten.
Auch das war eine Freude, dachte sie, als sie den steilen Abstieg zu einem großen Zeltlager begannen – dieser Bach. Sein Wasser war kristallklar und schmeckte ihr in ihrem ausgetrockneten Zustand so köstlich, dass sie es nie wieder vergessen würde.
Sie hatte gehört, wie die Männer über Gold redeten. Das da vor ihnen war offenbar ihr Ziel, dieses Meer von Zelten an dem großen Fluss. Goldfelder! Das musste es sein. Constance hatte nach wie vor keine Ahnung, wo sie sich befand, doch da unten waren Menschen, eine Menge Menschen in einer schmutzigen Siedlung, und jetzt war Hilfe in Sicht. Womöglich konnte sie sich durch den Busch davonstehlen, sobald Tussups Camp in Dunkelheit gehüllt war. Ich müsste schon verdammt dumm sein, um nicht den Weg zum Fluss hinunter zu finden, freute sie sich.
Was haben sie überhaupt mit mir vor?, fragte sie sich immer wieder. Warum halsten sich diese Männer eine Frau wie mich auf? Ob sie womöglich Lösegeld fordern wollten? Die Frage beschäftigte sie stark. Schließlich hatte sie schon vom Handel mit weißen Sklaven gehört. Was würde Lyle zahlen, um seine Frau zurückzubekommen? Ja, was wohl? Der Gedanke versetzte ihr einen Schlag, ließ sie innerlich verzagen. Ah Koo brachte ihr Tee und einen Kamm. Mir ist so schwindlig, stellte sie besorgt fest, als sie den heißen, schwachen Tee aus einem Emaillebecher trank. Ich bin so verschwitzt und schmutzig, ich würde mich von Herzen gern da unten in den Fluss stürzen. Ja, das würde ich tun, wenn sie mich ließen, ich würde es wirklich tun.
Man kam überein, dass Jake und Bartie nach dem Essen jemanden suchen sollten, der sie über den Fluss zum
Weitere Kostenlose Bücher