Wind Die Chroniken von Hara 1
war völlig unversehrt, als ob in der Nähe nicht Tausende von Menschen und Nichtmenschen ihr Unwesen trieben.
Der Fährtenleser zügelte das Pferd. Die Armee des Feindes musste doch irgendwo stecken! Schließlich konnte sie sich nicht in Luft aufgelöst haben – es sei denn, die Schreitenden hätten dafür gesorgt.
Langsam ritt er die Straße hinunter, als drei Reiter um die Ecke bogen und auf ihn zuhielten. Er gab sich gelassen. Als die Männer an ihm vorüberzogen, ließen sie den Blick nur flüchtig über seinen Umhang mit dem Wappen einer Nabatorer Einheit gleiten.
Glück gehabt.
Die Burg schälte sich unvermittelt aus dem Regenvorhang heraus. Vier der Sechs Türme waren zerstört, das Tor stand sperrangelweit offen. Bis zuletzt hatte sich Ga-nor gegen den Gedanken gesträubt, die Festung könnte gefallen sein. Aber nun … Wen traf die Schuld an diesem Debakel?! Wer war verantwortlich dafür, dass der Feind ins Imperium eingefallen war?!
»He, du!«, rief da jemand.
Er zügelte das Pferd und drehte sich um. Auf der Straße standen zwei Hellebardiere.
»Kommst du aus der Warnfeste?«
Ga-nor nickte.
»Mit einer Meldung für den Hauptmann?«
Es folgte ein weiteres Nicken.
»Sonderlich gesprächig bist du ja nicht«, brummte einer der beiden Nabatorer Soldaten.
»Ich möchte dich mal erleben, wenn du eine Stunde durch diesen Regen geprescht bist.«
Ga-nor gab sich alle Mühe, das R nicht zu rollen, denn das hätte ihn als Mann aus dem Norden verraten.
»Schon gut. Nur durch mit dir!«
Er dankte Ug, dass die beiden Posten ihn nicht genauer in Augenschein genommen hatten. Wie hätte er denen die roten Haare erklären sollen – da doch in Nabator alle dunkelhäutig und schwarzhaarig waren?!
Eigentlich hätte er kehrtmachen sollen, solange es diese Möglichkeit noch gab. In den Bergen würde er schon ein Versteck finden. Oder er schlüge sich nach Westen durch. Früher oder später würde er zur Goldenen Mark gelangen, von dort aus könnte er übers Meer ins Imperium zurückkehren. Wenn nur das Tor nicht so gelockt hätte. Fünf Minuten – und er wäre zu Hause.
Für Ga-nor gab es kein Halten mehr.
Als die Posten sich ihm entgegenstellten, schrie er etwas Unverständliches, trieb dem Pferd die Hacken in die Flanken und stürmte, ohne sich um die Rufe der Männer zu scheren, in den inneren Festungshof. Er überrannte einen Tölpel, der sich nicht rechtzeitig in Deckung gebracht hatte, metzelte einen Hellebardier, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war, mit dem Schwert nieder und jagte durch das Statthaltertor auf der gegenüberliegenden Seite – um sich auf dem Boden des Imperiums wiederzufinden.
Hinter ihm ertönten die Hörner.
Kapitel
4
Wizz. Wizz. Wizz.
Der Schleifstein glitt fast wie von selbst über die Schneide des Dolchs. Knuth brachte Gnuzz’ täglichem Ritual wenig Verständnis entgegen. Seiner Ansicht nach vergeudete der iltisgesichtige Mörder damit nur Kraft und Zeit. »Hängt dir das nicht schon zum Hals raus?«
»Glaubst du etwa, das Messer sei scharf?«
»Also wirklich!«, entgegnete Knuth. »Seit wir aus Alsgara aufgebrochen sind, bearbeitest du das Ding jeden Tag. Mittlerweile geht es durch jeden Stein wie durch Butter!«
»Und? Wäre das etwa verkehrt?«, hielt Gnuzz dagegen. »Außerdem übertreibst du maßlos. Nicht mal für ’ne ordentliche Rasur taugt es. Pass auf, ich zeig’s dir!« Er fuhr Knuth mit dem Dolch quer über eine Haarsträhne. »Oh«, brummte er, als er ein zolllanges Stück seines Haars in der Hand hielt. »Anscheinend ist es doch schon recht scharf.«
In diesem Augenblick betrat Shen das Haus. Als Gnuzz ihn sah, brummte er etwas Unverständliches und fing mit einem grimmigen Blick auf Moltz’ milchgesichtigen Protegé erneut an, seine Klinge zu schleifen. Knuth verhehlte seinen Ärger nicht, als das widerwärtige
Wizz
abermals durch den Raum pfiff. »Wo hast du Bamuth gelassen?«, wandte er sich an Shen.
»Er behält unseren Freund im Auge, solange Gnuzz mit diesem Unsinn beschäftigt ist.«
»Warum hast du dich ihm nicht angeschlossen?«, blaffte Gnuzz. »Hast du solche Sehnsucht nach uns gehabt?«
Bei diesen Worten kniff Knuth die Augen zusammen. Diese zwei gaben einfach keinen Frieden. Er setzte ja alles daran, sie auseinanderzuhalten, aber er konnte doch wohl schlecht den einen an diesem, den anderen an jenem Ende des Dorfes unterbringen! Vielen Dank auch, Moltz! Du hast uns allen wirklich eine große Freude bereitet.
»Jetzt reicht’s«,
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