Wind Die Chroniken von Hara 1
nie weiter, das solltest du doch wissen. Andererseits … was könnte eine gute Hausfrau wie du auch schon im Wald treiben, wo sie auf eine Lichtung voller Leichen stoßen kann?«
Der Nekromant machte sich über Lahen lustig. Er wusste genau, dass sie im Wald gewesen war. Ob er die Überreste der Magie gespürt hatte?
Trotzdem hielt er an seinem Spiel fest.
Knuth setzte sich ganz beiläufig so hin, dass er dem Nekromanten bequem in den Rücken fallen konnte. Das entging mir nicht. Daraufhin legte ich meine Hände locker auf die Knie – um gegebenenfalls das Wurfbeil zu ziehen.
»Und woher kommen die Herren Verwandten?«
»Aus Alsgara«, antwortete Shen leise.
Der Nekromant setzte ein derart strahlendes Lächeln auf, als habe er gerade erfahren, dass unser Medikus und er Landsleute seien.
»Die Stadt soll ja wunderschön sein. Meine Brüder und ich wollen ihr schon seit Langem einen Besuch abstatten. Angeblich verfügen ja viele Menschen aus Alsgara über die Gabe. Du gehörst nicht zufällig auch zu ihnen, Ann?«
»Nein, guter Herr. Ich stamme nicht aus Alsgara.«
»Wie schade«, bemerkte er. »Wie eine Schreitende siehst du allerdings auch nicht aus. Bist du eine Glimmende? Aber ich spüre deine Wärme nicht. Wer also bist du? Eine Autodidaktin? Falls ja – wie konnten eure Funkensucher eine solche Kraft übersehen?«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Ihr sprecht, guter Herr.«
»Vielleicht stimmt das sogar«, räumte er ein. »Vielleicht weißt du es aber auch sehr gut. Leider ist es mir nicht gegeben, das herauszufinden. Deshalb werden wir unser Gespräch ein andermal fortsetzen. In Anwesenheit einer … weiteren Person. Mit der ich mich unverzüglich in Verbindung setzen werde. Und lass dir eins gesagt sein: Du darfst es dir als Ehre anrechnen, dass sich eine derart bedeutende Persönlichkeit mit dir befassen wird.«
Er stand auf und ging zur Tür, drehte sich dort aber noch einmal um. »Ich komme zurück und werde weitere Fragen haben. Und ich empfehle euch dringend, Antworten bereitzuhalten, die mich zufriedenstellen. Es würde mich ungemein betrüben, müsste ich einem aus diesem Familienkreis, der mir so ans Herz gewachsen ist, etwas zuleide tun. Bald wird jene Person eintreffen, von der ich gesprochen habe. Damit es euch unterdessen nicht einfällt zu fliehen, lasse ich eine zuverlässige Wache für euch zurück. Auf ein baldiges Wiedersehen, Ann.«
Ruhigen Schrittes schlenderte der Nekromant zum Tor, das er fest hinter sich schloss. Sofort kam Leben in die fünf Untoten, die auf ihn gewartet hatten.
»Bewacht das Haus«, befahl er ihnen. »Behaltet diese Leute im Auge! Keiner von ihnen darf uns entwischen. Wenn sie es versuchen, treibt sie ins Haus zurück. Reißt sie mir aber nicht in Stücke! Und von der Frau lasst überhaupt die Finger. Die brauche ich unversehrt.«
Lahen hatte sich als kluge und keineswegs schüchterne Frau gegeben, und so etwas gefiel allen Sdissern. Natürlich hatte sie gelogen, was den Wald anging, obendrein hatte ihr wummerndes Herz sie verraten. Was jedoch ihre Gabe betraf … Wir konnten von Glück sagen, dass der Nekromant die Kraft meines Augensterns nicht erspürte, solange sie ihre Gabe nicht anrief.
Sicher, er hätte auch allein mit dieser Sache fertigwerden können. Indem er zu banaler Folter gegriffen hätte. Nur bestand da die Gefahr, zu weit zu gehen. Und wenn Lahen starb, würde ihre Gabe mit ihr sterben – wofür ihm die Nekromanten des Höchsten, also des Achten Kreises, kaum Lob zollen würden. Deshalb musste er
diese Person
zurate ziehen, sosehr es ihm auch widerstrebte. Aber seine Vorschriften ließen es in dieser Frage nicht an Deutlichkeit missen: Sobald er auf Menschen traf, bei denen der Verdacht bestand, sie trügen den Funken in sich, hatte er unverzüglich Meldung zu machen.
Mit dem Knauf seines Stabs zog der Sdisser im Sand eine Wellenlinie, die in ein Dreieck mündete. Anschließend sprach er die kurze Formel der Anrufung. Prompt formte sich aus Schattenfetzen der Bote, der ergrimmt fauchte, seinen Auftrag entgegennahm und verschwand: Er wusste, wen er suchen musste und was er auszurichten hatte.
Uns blieb nichts anderes übrig, als zu warten.
Kapitel
7
Ga-nor entpuppte sich als guter Lehrer. In den letzten Tagen hatte Luk mehr über den Wald erfahren als in seinem ganzen bisherigen Leben. Sobald sich eine passende Gelegenheit bot, unterwies ihn der Irbissohn in der Kunst des Spurenlesens. Und obwohl sich Luk das neue Wissen nur
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