Wind Die Chroniken von Hara 1
Lahen wach bekommen.«
Der Wald veränderte sich. Die mächtigen Bäume verschwanden, wir mussten uns nicht länger durchs Dickicht schlagen, denn nun gab es wieder Pfade. Zahllose glasklare Quellen sammelten sich in kleineren Seen. Der Boden war stellenweise sogar matschig. Hier lebten unzählige Fliegen und Mücken. Letztere machten uns das Leben schwer, bis sich das Wetter irgendwann verschlechterte und Regen einsetzte. Es wurde grau, schwül und ekelhaft. Wir mussten bereits in der Nähe der Blasgensümpfe sein. Wir marschierten Richtung Norden, in der Hoffnung, früher oder später auf die Straße zu stoßen, die an der Grenze von Wald und Sumpf verlief.
Lahen spuckte noch immer die bittere Flüssigkeit aus und fand für die Herren Gnuzz und Bamuth nur die allerfreundlichsten Worte. Am liebsten hätte sie die beiden noch einmal und eigenhändig umgebracht.
Wir hatten sie nicht begraben, aber das würde uns Moltz wohl nicht verübeln. Die Gilde hält ihre schützende Hand nämlich nicht über diejenigen, die gegen sie rebellieren. Deshalb hatten wir die Leichen einfach auf dieser Lichtung liegen lassen. Für die Tiere des Waldes …
Shen lief vor uns her, und immer wenn er vom Weg abkam, brachte ich ihn wieder in die Spur. Aus leicht nachvollziehbaren Überlegungen wollten wir den Heiler nur ungern in unserem Rücken haben. Denn obwohl er mir gestern das Leben gerettet hatte, traute ich ihm nicht. Sicher, bei einem Kampf mit Fäusten hatte der Milchbart keine Chance gegen mich. Aber andersrum galt das genauso – sollte er Magie einsetzen. Und Lahen? Dank Gnuzz wusste leider auch Shen, dass sie zurzeit nicht über ihre Gabe gebot.
Der ungeschützte Rücken des Heilers sprang mir also ständig ins Auge, doch der Versuchung, ihm eine spitze Klinge in selbigen zu treiben, gab ich nie nach. Er hatte wiederholt betont, was sein Ziel war: Alsgara zu erreichen – nicht aber uns an den Kragen zu gehen. Deshalb bestand zunächst kein Grund, ihn umzubringen. Und blindlings alle kaltzumachen, die einem über den Weg laufen – das tun nur Verrückte oder ausgemachte Dreckskerle. Ich für meinen Teil hegte jedoch die Hoffnung, während meiner Arbeit für die Gilde nicht zu einem solchen Aas verkommen zu sein wie Gnuzz und Bamuth.
Gegen Mittag hatte uns der unablässige Regen bis auf die Knochen durchgeweicht. Ich machte mir Gedanken um die Sehnen, auch wenn sie in einer Metallbüchse am Boden des Beutels mit unserem Geld lagen. Der Befiederung der Pfeile tat dieses Wetter ebenfalls nicht gerade gut. Ändern ließ sich all das jedoch nicht. Wenigstens schützten uns die Bäume mit ihren Zweigen und Blättern etwas gegen den Regen.
»Heute Abend werden wir Mühe haben, ein Feuer zu entfachen«, bemerkte Shen. Die Kapuze seiner Jacke verschattete sein Gesicht so, dass nur das von Bartstoppeln bedeckte Kinn zu sehen war.
»Bis heute Abend müssten wir die Straße erreicht haben.«
»Eine gute Neuigkeit.«
»Wer hat dich eigentlich ausgebildet?«, erkundigte sich Lahen bei ihm. »Das wollte ich dich schon lange fragen.«
»Was meinst du?«, erwiderte er, doch in seiner Stimme schwang eindeutig ein falsches Unverständnis mit.
»Wer hat deinen Funken entzündet? Wer hat dir geholfen, über deine Gabe zu gebieten?«
»Und wer hat dich ausgebildet?«
»Niemand.«
»Tisch mir doch keine Lügenmärchen auf«, sagte Shen. »Ich habe dich in Hundsgras erlebt. Eine solche Meisterschaft erlangt man nicht ohne profunde Ausbildung. Wenn wir auch über unterschiedliche Aspekte der Gabe verfügen, sind mir die Grundlagen deiner Magie doch bekannt. Keine der Schreitenden ist in der Lage, sich einen Hilss gefügig zu machen.«
»Du selbst hast deinen Zauber doch auch durch den Stock geleitet.«
»Ich verfüge aber auch über den Funken eines Heilers. Außerdem … ist der Zauber außer Kontrolle geraten. Im Grunde verstehe ich nicht, was da geschehen ist.«
»Das glaube ich dir unbesehen.«
»Also«, gab Shen nicht nach, »wer hat dich unterwiesen, wenn du die Magie des Todes beherrschst? Aus dem Regenbogental kann dir das niemand beigebracht haben.«
»Bist du da so sicher, mein Kleiner?«
Den
Kleinen
nahm er Lahen zu meiner Überraschung nicht übel. »O ja, das bin ich«, sagte er schlicht. »Hättest du deine Ausbildung im Regenbogental erhalten, wärest du eine Schreitende – und ein solches Talent hätten sie sich nicht entgehen lassen. Warum hast du den Nekromanten eigentlich nicht gleich bei der ersten Begegnung
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