Wind Die Chroniken von Hara 1
der Hand, mein Liebster. Sie ist hinter mir her. Genauer gesagt, hinter meiner Gabe. Sicher, man kann auch annehmen, die pure Neugier oder die Hoffnung, mich auf ihre Seite zu ziehen, hätten sie ins Dorf gebracht. Aber mich überzeugt das nicht. Du musst nämlich wissen, dass einige der stärksten Magier und Magierinnen ihrer Gabe einen fremden Funken hinzufügen können. Dadurch werden sie noch stärker.«
Dieses Thema behagte ihr nicht, das merkte ich, weshalb ich nicht weiter in sie drang, sondern auf eine andere Sache zu sprechen kam: »Warum hat uns Moltz einen Heiler geschickt?«
»Bist du sicher, dass er etwas von Shens Gabe weiß?«
»Nein«, antwortete ich nach kurzer Überlegung. »Aber in dem Fall ist mir völlig schleierhaft, was ihn veranlasst hat, seinen Gijanen einen gewöhnlichen Medikus mit auf den Weg zu geben.«
»Was?«, fragte Lahen spöttisch. »Oder wer?«
»Spielst du auf Yokh an?«
»Möglich wär’s doch, oder? Wann erreichen wir deiner Ansicht nach die Straße?«
Ich überschlug den Weg, den wir schon zurückgelegt hatten. »Übermorgen, wenn wir weiterhin so schnell vorankommen und keine Probleme kriegen.«
»Dann werden unsere drei Begleiter zu gefährlich für uns. Für Gnuzz würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen.«
»Und ich für keinen der drei. Gestern Abend hatte ich das Vergnügen, ein Gespräch unserer beiden Holzsammler mit anzuhören.«
Ich gab ihr in knappen Worten wieder, was Gnuzz und Bamuth ausgeheckt hatten.
»Vielleicht sollten wir versuchen, sie schon heute loszuwerden?«, fragte ich.
»Das dürfte so einfach nicht werden«, entgegnete Lahen. »Ich bin nicht sicher, dass ich in einem offenen Kampf etwas gegen einen von ihnen ausrichten kann. Außerdem wissen wir nicht, was Shen noch zu bieten hat, wenn es hart auf hart kommt.«
»Ich würde dich nie bitten, das Messer gegen sie zu ziehen. Aber deine Magie …«
Sie sah mich eine Sekunde lang erstaunt an, dann seufzte sie schwer: »Ich hatte gehofft, du hättest es inzwischen begriffen.« Es folgte ein langes Schweigen, ehe sie flüsterte: »Ich kann meine Gabe nicht einsetzen.«
Ich meinte, mich verhört zu haben. »Was … warum …?«
»Ich kann meine Gabe nicht einsetzen!«, schrie sie mich jetzt völlig aufgelöst an und vergrub daraufhin ihr Gesicht in den Händen.
Während sie lautlos weinte, sah ich sie wie benommen an. Schließlich beugte ich mich zu ihr und schloss sie in die Arme. »Ist ja gut. Beruhige dich. Wir schaffen das«, tröstete ich sie. Ein wenig half es sogar. Ihr Weinen ging in leises Schluchzen über.
»Ich kann nichts mehr. Ich habe meine Gabe verloren. Ich bin völlig unfähig. Deshalb habe ich auch nicht auf deine Rufe geantwortet, die du mir in Gedanken geschickt hast. Weil ich sie überhaupt nicht gehört habe. Der Hilss des Nekromanten hat alles aus mir herausgesaugt. Als ich es dir vorhin sagen wollte … bist du auf die Verdammte zu sprechen gekommen … und da …«
»Aber du hast doch gestern diese Lichtkugel für Shen gemacht.«
»Das musste sein, auch wenn es mich meine letzten Kräfte kostete. Hauptsächlich, um Gnuzz zu beeindrucken.«
»Aber du hast deine Gabe nicht für immer verloren?«
»Natürlich nicht. Der Funke ist erloschen. Ich brauche jetzt etwas Zeit, um ihn neu zu entfachen.«
»Wie lange?«
»So etwas habe ich nie zuvor durchgemacht, deshalb kann ich nur mutmaßen. Zwei Wochen, schätze ich. Vielleicht aber auch einen Monat.«
Ich biss mir auf die Lippe, um einen Fluch zu unterdrücken. Dass es so schlecht stand! Wir konnten nicht mal drei Tage warten – geschweige denn zwei Wochen. Denn ohne die magische Unterstützung meines Augensterns würde ich mit unseren drei ungebetenen Begleitern kaum fertigwerden.
Da flatterte plötzlich fünfzehn Yard von uns entfernt aus den Büschen ein bunter Vogel mit empörtem Gezwitscher in die Luft. Sofort sprang ich auf, bereit, einen Pfeil auf die Reise zu schicken. Auch Lahen schnellte hoch.
»Etwas hat ihn aufgeschreckt«, sagte sie.
Doch jede verdächtige Bewegung der Äste oder ein Rascheln der Blätter unterblieb. Wenn sich da jemand versteckte, dann verhielt er sich mucksmäuschenstill. Wir verharrten ebenfalls still und horchten aufmerksam auf jedes Geräusch im Wald.
»Das führt zu nichts«, entschied Lahen schließlich. »Wenn da jemand war, ist er längst verschwunden.«
»Ob er uns belauscht hat?«
»Das glaube ich nicht, dazu sind wir zu weit weg.«
»Manch einer verfügt über ein
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