Wind (German Edition)
erhobene Steuer nicht zahlen können? Nein, Tim, nein.«
»Kennt Ihr seinen Namen?«
»Nay, das brauche ich nicht, weil ich weiß, was er ist – die lebende Seuche. Vor ewigen Zeiten, als er hier etwas Übles veranstaltet hat, was ich einem Jungen nie erzählen würde, hatte ich mir einmal vorgenommen, möglichst viel über ihn in Erfahrung zu bringen. Ich habe an eine große Lady geschrieben, die ich damals in Gilead gekannt habe – eine Frau von Klugheit und Schönheit, eine seltene Kombination –, und habe gutes Silber für einen Boten gezahlt, damit er meinen Brief zustellt und mir die Antwort bringt – die ich auf Bitte meiner Korrespondentin in der großen Stadt verbrennen sollte. Sie schrieb, dass Gileads Zöllner, wenn er nicht gerade zum Zeitvertreib Steuern eintreibe – was darauf hinausläuft, die Tränen vom Gesicht armer arbeitender Leute abzulecken –, als Berater der Palastlords fungiere, die sich als Rat des Elds bezeichneten. Allerdings behaupten nur sie selbst eine Blutsverwandtschaft mit dem Eld. Es hieß, dass er ein großer Zauberer sei, und das mag sogar stimmen. Du hast ja erlebt, wie er seine Magie ausübt.«
»Ja, das habe ich«, sagte Tim, der dabei an das silberne Becken dachte. Und an die Art und Weise, wie Sai Zöllner größer zu werden schien, wenn er zornig war.
»Meine Korrespondentin schrieb, dass manche sogar behaupteten, er sei Maerlyn, der Hofzauberer von Arthur Eld persönlich, denn Maerlyn solle unsterblich sein, ein Wesen, das in der Zeit rückwärts lebe.« Hinter dem Schleier war ein Schnauben zu hören. »Allein bei dem Gedanken daran bekomme ich Kopfschmerzen, denn diese Vorstellung ist ganz sinnlos.«
»Aber Maerlyn war ein weißer Magier, heißt es in den Sagen.«
»Die Leute, die behaupten, der Zöllner sei in Wirklichkeit Maerlyn, sagen auch, er sei durch den Glammer des Regenbogens des Zauberers zum Bösen verwandelt worden, als er ihn in den Jahren vor dem Zusammenbruch des Eldischen Königreichs aufzubewahren hatte. Andere wiederum behaupten, er habe auf seinen Streifzügen nach dem Zusammenbruch bestimmte Artefakte des Alten Volkes entdeckt und sei ihrer Faszination erlegen. Und deshalb sei er seither bis in die Tiefen seiner Seele schwarz. Das soll im Endlosen Wald geschehen sein, heißt es, in dem er weiter ein Zauberhaus habe, in dem die Zeit stillstehe.«
»Klingt nicht allzu wahrscheinlich«, sagte Tim – obwohl ihn die Vorstellung faszinierte, es könnte ein Zau berhaus geben, in dem kein Uhrzeiger sich bewegte, kein Sand durchs Stundenglas rieselte.
»Weil’s ein großer Blödsinn ist!« Und weil sie seinen schockierten Gesichtsausdruck sah, fügte die Witwe hinzu: »Erflehe deine Verzeihung, aber manchmal sind deutliche Worte angebracht. Selbst Maerlyn könnte nicht an zwei Orten gleichzeitig sein – sich im Endlosen Wald an einem Ende der Nördlichen Baronie herumtreiben und am anderen den Lords und Revolvermännern von Gilead dienen. Nay, der Steuereintreiber ist nicht Maerlyn, aber er ist ein Zauberer – ein schwarzer. Das hat die Lady, die einmal meine Schülerin war, gesagt, und ich glaube ihr. Und deshalb darfst du nie wieder in seine Nähe kommen. Wenn er dir etwas Gutes anbietet, ist es sicherlich eine große Lüge.«
Tim dachte darüber nach, dann fragte er: »Wisst Ihr, was eine Sighe ist, Sai?«
»Natürlich. Die Sighe sind Elfen, die tief im Wald leben sollen. Hat der üble Mann davon gesprochen?«
»Nein, sie sind nur in einer Geschichte vorgekommen, die Strohkopf Willem mir neulich bei der Arbeit in der Sägemühle erzählt hat.«
Wieso habe ich jetzt gelogen?
Tief im Herzen wusste Tim es jedoch.
Bern Kells kam in jener Nacht nicht zurück, was nur gut war. Tim hatte Wache halten wollen, aber er war eben nur ein kleiner Junge, und noch dazu war er übermüdet. Ich mache die Augen nur für ein paar Sekunden zu, damit sie sich ausruhen können, sagte er sich, als er sich auf den Strohsack hinter der Haustür legte, und er hatte das Gefühl, nur wenige Sekunden zu ruhen, aber als er sie wieder öffnete, erfüllte Morgenlicht das Haus. Die Axt seines Vaters lag auf dem Boden neben ihm, weil sie seiner schlaff gewordenen Hand entglitten war. Er hob sie auf, schob sie wieder unter den Gürtel und lief dann ins Schlafzimmer, um nach seiner Mutter zu sehen.
Die Witwe Smack schlief fest in dem Schaukelstuhl aus Tavares, den sie dicht an Nells Bett gezogen hatte, und ihr Schnarchen ließ ihren Schleier flattern. Nell, deren Augen
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