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Wind (German Edition)

Wind (German Edition)

Titel: Wind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Was hätten sie auch genutzt? Er war reingelegt worden, und damit hatte es sich. Beim nächsten Mal würde er weniger vertrauensselig sein, nahm er sich vor – falls es ein nächstes Mal gab. Während er hier im aschgrauen Halbdunkel saß, weil das Mondlicht die Wolkenschleier am Nachthimmel kaum durchdringen konnte, erschien ihm das nicht sehr wahrscheinlich. Die unheimlichen Wesen, die zuvor geflüchtet waren, hatten sich wieder versammelt. Obwohl sie das wässrige Boudoir des Drachen mieden, hatten sie reichlich Bewegungsspielraum, aber dass sie sich allein für die winzige Insel interessierten, auf der Tim saß, war offensichtlich. Er konnte nur hoffen, dass es Fische waren, die außerhalb des Wassers verenden würden. Andererseits wusste er, dass Tiere, die in dieser seichten schlammigen Brühe lebten, sehr wahrscheinlich auch Luft atmen konnten.
    Er beobachtete, wie sie ihn umkreisten, und dachte: Sie sammeln ihren Mut, bevor sie angreifen.
    Tim hatte den sicheren Tod vor Augen, das wusste er, aber er blieb trotzdem der Elfjährige, der von all den Anstrengungen hungrig war. Er zog den Brotlaib heraus, der zum Glück nur an einem Ende feucht geworden war, und aß ein paar Bissen. Dann legte er ihn beiseite, um bei fahlem Mondschein und dem schwachen Leuchten des Sumpfwassers den Vierschüsser zu begutachten. Die Waffe schien vollständig trocken geblieben zu sein. Auch die zusätzlichen Patronen waren trocken, und Tim glaubte erreichen zu können, dass sie das blieben. Er höhlte das trockene Ende des Brotlaibs aus, schob die Patronen hinein, verschloss das Loch wieder und steckte den Laib in den Beutel zurück. Der Stoff würde hoffentlich bald trocknen, aber das war nicht gewiss. Die Sumpfluft war sehr feucht und …
    Und da kamen sie zu zweit genau auf die winzige Insel zugeschossen! Tim sprang auf und schrie das Erste, was ihm in den Sinn kam: »Bloß nicht! Bloß nicht, Freundchen! Hier steht ein Revolvermann, ein wahrer Sohn von Gilead und vom Eld, also seht euch vor!«
    Er bezweifelte, dass solche Tiere mit erbsengroßen Gehirnen die geringste Ahnung hatten, was er da schrie – oder sich im Geringsten darum kümmern würden –, aber der Klang seiner Stimme erschreckte sie, sodass sie abdrehten.
    Pass auf, dass du die Feuerspuckerin nicht weckst, dachte Tim. Sonst taucht sie auf und verbrennt dich, bloß um ihre Ruhe zu haben.
    Aber was blieb ihm anderes übrig?
    Als diese lebenden Tauchboote wieder auf ihn zuschossen, schrie der Junge nicht nur, sondern klatschte auch wie wild in die Hände. Hätte es hier einen hohlen Baumstamm gegeben, hätte er darauf getrommelt, und Na’ar hole das Drachenweib! Wenn es wirklich zum Äußersten kam, würde ihr feuriger Odem ihm einen gnädigeren Tod bringen als die Reißzähne der schwimmenden Wesen. Zum Allermindesten einen schnelleren.
    Tim fragte sich, ob der Zöllner irgendwo in der Nähe war, alles beobachtete und sich daran ergötzte. Dann sagte er sich, dass das wohl nur zur Hälfte der Fall war. Der Zöllner würde zusehen, gewiss, aber er würde sich dazu nicht die Stiefel in einem übel riechenden Sumpf schmutzig machen. Nein, er saß irgendwo im Trockenen und Warmen und verfolgte das Schauspiel in seinem Silberbecken, während Armaneeta ihn umkreiste. Vielleicht saß sie sogar auf seiner Schulter und hatte das Kinn lässig in ihre winzigen Hände gestützt.

Als schmutzig graues Tageslicht durch die überhängenden Bäume sickerte (knorrige, mit Moos behangene Ungetüme, wie Tim sie noch nie gesehen hatte), kreisten zwei Dutzend der unheimlichen Wesen um sein Binsenbüschel. Die kleineren schienen ungefähr drei Meter lang zu sein, aber die meisten waren viel größer. Durch Lärm ließen sie sich längst nicht mehr vertreiben. Bald würden sie sich ihn schnappen.
    Als wäre das alles nicht schon schlimm genug, wurde es jetzt unter dem Blätterdach so hell, dass er erkennen konnte, dass es Augenzeugen für seinen Tod geben würde. So hell, dass er die Gesichter der Zuschauer hätte erkennen können, war es noch nicht, und darüber war Tim trotz seinem Elend froh. Ihre gebeugten, nur halb menschlichen Gestalten waren schlimm genug. Sie standen sechzig, siebzig Schritte von ihm entfernt am nächsten Ufer. Er konnte ein halbes Dutzend erkennen, vermutete aber, dass sich dort drüben weitaus mehr versammelt hatten. Im unsicheren Grau des beginnenden Tages war das schwer zu erkennen. Die Wesen waren etwas bucklig und hielten ihre zottigen Schädel

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