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Wind (German Edition)

Wind (German Edition)

Titel: Wind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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unterdrücken musste. Und es war auch nicht Morgen. Die Sonne war über den Himmel gewandert und schien jetzt rötlich durch seltsam geformte, knorrige Bäume, die in kleinen Gruppen im Wasser wuchsen. Diese Bäume hätte Tim nicht bestimmen können, aber er kannte die, die hinter dem Anlegeplatz des Sumpfboots aufragten. Das waren Eisenholzbäume, wahrhafte Riesen. Der Waldboden unter ihnen war mit einem dichten Teppich aus orangeroten und goldenen Blumen bedeckt. Tim stellte sich vor, wie begeistert seine Mutter von dieser Blütenpracht gewesen wäre, aber dann fiel ihm wieder ein, dass sie die Blumen ja nicht würde sehen können.
    Sie hatten den Rand des Fagonards erreicht. Vor ihm lagen die wahren Tiefen des Waldes.
    Steuermann half Tim aussteigen, und zwei Paddler reichten ihm den Proviantkorb und den Wasserschlauch hinaus. Als diese Gunna zu Tims Füßen stand – diesmal auf wirklich festem Boden –, bedeutete Steuermann Tim, er solle den Beutel der Witwe öffnen. Als Tim das tat, imitierte Steuermann ein Piepen, über das seine Besatzung anerkennend schmunzelte.
    Tim zog das Lederetui mit der Metallscheibe heraus und wollte es zurückgeben. Aber Steuermann schüttelte den Kopf und zeigte auf ihn. Die Bedeutung dieser Geste war sofort klar. Tim klappte das Lederetui auf und nahm das Gerät heraus. Für ein so dünnes Ding war es erstaunlich schwer; zudem war es fast unheimlich glatt.
    Ja nicht fallen lassen, ermahnte er sich. Ich will auf diesem Weg zurückkommen und es zurückgeben, wie man bei uns im Dorf eine geborgte Schüssel oder ein Werkzeug zurückbringt. Dabei werde ich sie alle gesund und munter antreffen.
    Sie beobachteten ihn, um zu sehen, ob er noch wusste, wie man es bediente. Tim drückte den Knopf, der den kurzen Stab ausfuhr, und machte mit dem Piepen und dem roten Licht weiter. Diesmal gab es kein Johlen oder Lachen; hier handelte es sich um eine ernste Sache, bei der es vielleicht sogar um Leben und Tod ging. Tim drehte sich nun im Kreis, und als er eine Gasse zwischen den Bäumen – vielleicht sogar einen ehemaligen Weg – vor sich hatte, wurde das rote Licht grün, während ein weiteres Piepen zu hören war.
    »Wieder nach Nord«, sagte Tim. »Es weist einem den Weg bestimmt auch bei Dunkelheit, oder? Wenn die Bäume zu dicht stehen, als dass man den Alten Stern und die Alte Mutter sehen könnte.«
    Steuermann nickte, klopfte Tim auf die Schulter … und bückte sich dann, um ihn schnell sanft auf die Wange zu küssen. Anschließend trat er zurück, als wäre er über die eigene Kühnheit erschrocken.
    »Schon gut«, sagte Tim. »Schon in Ordnung.«
    Steuermann ließ sich auf ein Knie sinken. Die inzwischen ausgestiegenen Paddler taten das Gleiche. Sie leg ten eine Faust an die Stirn und riefen Heil!
    Tim fühlte wieder Tränen aufsteigen. Er drängte sie zurück und sagte: »Erhebt euch, Gefolgsleute – wenn ihr das zu sein glaubt. Erhebt euch in Liebe, und seid bedankt.«
    Sie sprangen auf und kletterten eilig in ihr Boot.
    Tim hob die beschriftete Metallscheibe hoch. »Die bringe ich euch zurück! Unbeschädigt! Ganz bestimmt!«
    Steuermann schüttelte langsam – aber immer noch lächelnd, was irgendwie schrecklich war – den Kopf. Er bedachte den Jungen mit einem letzten schmerzlichen Blick, dann stakte er das wackelige Boot vom Festland weg in die unstete Welt hinaus, die Heimat der Sumpfleute. Tim blieb stehen und beobachtete, wie es seinen feierlich langsamen Schwenk nach Süden machte. Als die Besatzung grüßend ihre Paddel hob, winkte er zurück. Er sah ihnen nach, bis das Boot nur noch einem verschwimmenden Trugbild über dem breiten Feuergürtel glich, den die untergehende Sonne übers Wasser legte. Dann wischte er sich die heißen Tränen aus den Augen, während er (nur mühsam) den Drang unterdrückte, sie zurückzurufen.
    Als das Boot ganz verschwunden war, belud er sich mit seiner Gunna, schlug die Richtung ein, die das Gerät angezeigt hatte, und marschierte in den Wald hinein.

Die Dunkelheit kam. Anfangs schien der Mond, aber bis sein Licht den Waldboden erreichte, war es nur noch ein unzuverlässiger Schimmer … und dann verschwand auch dieser schwache Schein. Hier gab es einen Pfad, dessen war er sich sicher, aber es war sehr leicht, von ihm abzukommen. Zweimal gelang es ihm, nicht gegen einen der Bäume vor ihm zu rennen, aber nicht beim dritten Mal. Tim dachte gerade an Maerlyn und wie unwahrscheinlich es war, dass es ihn wirklich gab, als er mit der Brust

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