Wind (German Edition)
voraus gegen den Stamm eines Eisenholzbaums prallte. Die Silberscheibe hielt er fest in der Hand, aber der Proviantkorb fiel zu Boden und leerte sich dabei aus.
Jetzt muss ich auf allen vieren umhertasten. Bestimmt verliere ich, wenn ich nicht bis Tagesanbruch hierbleibe, ein paar …
»Brauchst du Licht, Wanderer?«, fragte eine Frauenstimme.
Tim würde sich später einreden, er habe nur leicht überrascht reagiert – denn neigen wir nicht alle dazu, unsere Erinnerungen zu schönen, um selbst besser dazustehen? –, aber die Wahrheit war etwas prosaischer: Er schrie vor lauter Panik, ließ die Metallscheibe fallen, sprang auf und war kurz davor, die Flucht zu ergreifen (ohne Rücksicht auf irgendwelche Bäume, gegen die er rennen könnte), als sein Überlebenstrieb ihn daran hinderte. Wenn er jetzt flüchtete, könnte er die am Wegesrand verstreuten Vorräte ganz vergessen. Auch die Scheibe, die er unbeschädigt zurückzubringen versprochen hatte.
Es war die Scheibe, die gesprochen hat.
Eine lächerliche Vorstellung, selbst eine winzige Elfe wie Armaneeta hätte nicht in dieses flache Metallgehäuse gepasst – aber war sie lächerlicher als ein Junge, der allein im Endlosen Wald unterwegs war, um einen Zauberer zu finden, der seit vielen Jahrhunderten tot sein musste? Der, selbst wenn er noch lebte, vermutlich Tausende von Rädern nördlich von hier in jenem Teil der Welt hauste, in dem der Schnee niemals schmolz?
Er hielt Ausschau nach einem grünen Licht, konnte aber nirgends eines sehen. Mit immer noch hämmerndem Herzen ließ Tim sich auf die Knie nieder. Er suchte den Waldboden ab, ertastete in Blätter gewickelte Fleischpopkins, entdeckte das Körbchen mit Beeren (von denen die meisten herausgefallen waren) und fand schließlich den Korb selbst – aber keine Silberscheibe.
In seiner Verzweiflung rief er: »Wo zum Nis seid Ihr?«
»Hier, Wanderer«, sagte die Frauenstimme. Völlig unaufgeregt. Irgendwo zu seiner Linken. Tim, weiterhin auf den Knien, wandte sich dorthin.
»Wo?«
»Hier, Wanderer.«
»Sprecht weiter, ja?«
Was bereitwillig befolgt wurde. »Hier, Wanderer. Hier, Wanderer. Hier, Wanderer.«
Er griff in die Richtung, aus der die Stimme kam, und umschloss die kostbare Scheibe mit der Hand. Erst als er sie umdrehte, sah er wieder das grüne Licht. Er drückte sich die Scheibe schwitzend an die Brust. Er glaubte, noch nie so erschrocken gewesen zu sein, nicht einmal in dem Moment, als ihm klar geworden war, dass er auf dem Schädel eines Drachen stand. Oder jemals so erleichtert.
»Hier, Wanderer. Hier, Wanderer. Hier …«
»Ich hab dich«, sagte Tim und kam sich gleichzeitig töricht und gar nicht töricht vor. »Ihr könnt … äh … jetzt schweigen.«
Die Silberscheibe verstummte. Tim saß lange Zeit still da und horchte auf die nächtlichen Geräusche des Waldes – die weniger bedrohlich als die des Sumpfes waren, zumindest bislang –, bis er allmählich seine Selbstbeherrschung zurückgewann. Dann sagte er: »Ja, Sai, ich hätte gern Licht.«
Die Scheibe ließ das leise Summen hören, mit dem sie sonst den Stab ausfuhr, und plötzlich erstrahlte ein so helles, weißes Licht, dass Tim zunächst geblendet war. Die Bäume ringsum traten hell angestrahlt hervor, und irgendein kleines Tier, das sich lautlos angeschlichen hatte, schreckte fiepend zurück. Tim konnte noch nicht wieder scharf sehen, aber er hatte den Eindruck, dass es ein glattes Fell und – vielleicht – einen Ringelschwanz gehabt hatte.
Aus der Scheibe ragte jetzt ein zweiter Stab, dessen beschirmtes kugelförmiges Ende dieses grelle Licht aussandte. Es leuchtete wie brennender Phosphor, aber im Gegensatz zu Phosphor brannte es nicht ab. Tim konnte sich nicht vorstellen, wie eine so dünne Metallscheibe Stäbe und Lichter enthalten konnte, aber das war ihm eigentlich auch egal. Sorgen machte ihm etwas anderes.
»Wie lange hält das an, gute Frau?«
»Ihre Frage ist unspezifisch, Wanderer. Formulieren Sie sie um.«
»Wie lange brennt das Licht?«
»Die Batterie ist zu achtundachtzig Prozent voll. Die errechnete Lebensdauer beträgt siebzig Jahre, plus/minus zwei.«
Siebzig Jahre, dachte Tim . Das sollte reichen.
Er machte sich daran, seine Gunna aufzusammeln und einzupacken.
In dem gleißend hellen Licht, das ihm leuchtete, war der Weg noch deutlicher zu erkennen als zuvor am Rand des Sumpfes. Er führte jetzt stetig bergauf, und gegen Mitternacht (falls es Mitternacht war, was er nur vermuten konnte)
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