Wind über den Schären: Liebesgeschichten aus Schweden (German Edition)
ihr auf Anhieb, auch wenn es mit dem Eichenschreibtisch, dem gewebten Teppich an der Wand dahinter und den gestreiften Vorhängen ganz anders war als ihr modernes Büro in Stockholm.
Von den Fenstern aus konnte sie in die schmale, kopfsteingepflasterte Straße vor dem Haus schauen. Gegenüber war ein kleines Café, und über die Hausdächer hinweg, hinten am Horizont, war ein blauer Streifen der Ostsee zu sehen.
Ludvig Stekkelson hatte Valerie bereits einige Fälle zur Bearbeitung aussortiert und die entsprechenden Akten auf ihren Schreibtisch gelegt. Mit einem schnellen Blick überzeugte sie sich davon, dass die Gerichtstermine frühestens im nächsten Monat angesetzt waren. Valerie war Ludvig Stekkelson dankbar für diese Umsicht, so hatte sie ausreichend Zeit, sich mit den Fällen vertraut zu machen.
Sie sortierte die Akten vor und vertiefte sich schnell völlig in ihren ersten Fall. Wie immer, wenn sie sich in einen Fall verbiss, vergaß sie die Zeit und alles um sich herum. Sie zuckte erschrocken zusammen, als das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte.
»Borg, Kanzlei Stekkelson«, meldete sie sich mit ruhiger Stimme.
»Markus Hansen«, sagte der Anrufer am anderen Ende, und Valerie spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte.
»Besitzen Sie ein Fahrrad, Valerie?«
Voller Vorahnung lehnte Valerie sich in ihrem Bürostuhl zurück. »Natürlich habe ich ein Fahrrad«, erwiderte sie. »Warum?«
Ein leises Lachen drang an ihr Ohr. »Sie wissen doch sicher, dass es für Menschen, die viel am Schreibtisch sitzen, wichtig ist, dass sie sich in ihrer Freizeit bewegen. Besonders wichtig ist die Bewegung in der Mittagspause.«
Nachdem sie sich heute Morgen über ihre Gefühle klar geworden war, redete sie jetzt nicht lange herum. Sie wollte Markus und auch sich selbst die Gelegenheit geben, einander kennenzulernen.
»Also gut, wo sollen wir uns treffen?«, fragte sie spontan.
Er schlug als Treffpunkt eine Fischbude in der Nähe der Kanzlei vor.
Sie verabschiedete sich in die Mittagspause und machte sich mit dem Fahrrad auf den Weg. Markus wartete bereits auf sie und lud sie zu einem Fischbrötchen ein, bevor sich beide auf ihre Räder schwangen.
Valerie folgte Markus aus Boxenberg hinaus. Sie fuhren auf Schotterwegen mitten durch blühende Wiesen, vor ihnen lag die Ostsee.
Valerie atmete tief ein und aus und genoss den Fahrtwind, die Sonne auf der Haut und den Anblick von Markus’ Rücken.
Markus lenkte sein Rad über einen Steg bis an den Ostseestrand. Das Ufer war hier kein grasbewachsener Streifen wie vor ihrem Haus, sondern bestand aus abgerundeten Felsen, die bis ins Wasser reichten. Die Ostsee hatte sich hier wie in einer Bucht eingegraben. Rechts und links ragten bewaldete Uferstreifen ins Wasser. Weit und breit war kein Mensch zu sehen.
Der Wind strich über die vorgelagerten Schäreninseln, und Valerie nahm sich fest vor, einige dieser Inseln an den Wochenenden mit Lasse zu besuchen.
Sie schloss sekundenlang die Augen und spürte, wie ihre Sinne sich voll auf diese Landschaft konzentrierten.
»Wunderschön.« Sie seufzte behaglich und öffnete die Augen. »Und wie gut es hier riecht! Habe ich ein Glück, dass ich die Stellenanzeige von Ludvig Stekkelson gelesen habe!«
Markus stand direkt vor ihr. »Du bist nicht der einzige Mensch hier, der Glück hat«, sagte er sanft.
Valerie lächelte und ging ohne Umschweife ebenfalls zum Du über. »Du meinst, Stekkelson hatte auch Glück«, neckte sie ihn.
»Er kann froh sein, dass er dich bekommen hat«, sagte Markus, »aber eigentlich habe ich gemeint, dass ich Glück hatte.« Er strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht und betrachtete sie zärtlich.
Valerie wartete darauf, dass er sie küsste, aber er tat es nicht. Nur dieser tiefe, intensive Blick, und dann trat er einen Schritt zurück.
»Wir müssen zurück, meine Mittagspause ist gleich vorbei«, sagte sie mit belegter Stimme.
Der Zauber des Augenblicks war vorbei. Markus nickte schweigend, und Valerie fragte sich, was in diesem Moment in ihm vorging.
Er ließ sich nichts anmerken und unterhielt sich während der Rückfahrt ungezwungen mit ihr. Vor der Kanzlei verabschiedete er sich freundlich von ihr, sagte aber nicht, ob und wann sie sich wiedersehen würden.
Er hatte Irma schon sehr lange nicht mehr spontan zum Mittagessen aus der Galerie entführt und konnte sich erst recht nicht daran erinnern, wann er ihr das letzte Mal ohne besonderen Anlass Blumen geschenkt hatte. Sie staunte
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